Leitsatz (amtlich)
1. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO erfordert eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen.
2. Die Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO beginnt nicht bei jeder Besetzungsänderung für die gesamte Kammerbesetzung neu zu laufen, sondern nur für die neu hinzugekommene zur Urteilsfindung berufene Person.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen (517 KLs) 251 Js 281/17 (9/18)) |
Tenor
Der Besetzungseinwand des Verteidigers, Rechtsanwalt Hu, wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Mit seinem Besetzungseinwand vom 10. Februar 2021 wendet sich der Verteidiger des Angeklagten gegen die Mitteilung der Kammerbesetzung der 17. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 3. Februar 2021. Er rügt, die Kammer sei in der am 4. Februar 2021 begonnenen Hauptverhandlung in unzulässiger Weise lediglich mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt, denn aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sei in diesem Fall die Besetzung mit drei Berufsrichtern erforderlich. Dem Angeklagten werde mit der Anklageschrift unter anderem zur Last gelegt, in zwei Fällen Teile einer Maschinenpistole veräußert zu haben, wobei die waffenrechtliche Beurteilung der Gegenstände "nicht ganz unproblematisch" sei, da in der Hauptverhandlung zu klären sei, ob die veräußerten Gegenstände Teile sogenannter Dekorwaffen seien und ob diese unter das Waffengesetz fielen. Insbesondere habe es in der Vergangenheit "zahlreiche Gesetzesänderungen [...] über die Unbrauchbarmachung von Teilen für Dekowaffen und weiterhin Regelungen zum Bestandsschutz für ältere Waffenteile" gegeben. Die seitens der Kammer geplante Vernehmung eines Sachverständigen gebiete die Dreierbesetzung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Rügevorbringens verweist der Senat auf die Akten (Bl. 74 f. Bd. IV).
Das Landgericht hat den Besetzungseinwand mit Beschluss vom 16. Februar 2021, wegen dessen Inhalt ebenfalls auf die Akten verwiesen wird (Bl. 81 f. Bd. IV), für nicht begründet erachtet.
II.
1. Der Besetzungseinwand ist nicht in zulässiger Form erhoben worden.
a) Der Verteidiger ist dazu berechtigt, den Besetzungseinwand im eigenen Namen zu erheben (vgl. Gmel in KK-StPO, 8. Aufl., § 222b Rn. 2), was er vorliegend unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht hat. Der Einwand gegen die Gerichtsbesetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden ist auch (entweder in direkter [BGHSt 44, 361] oder entsprechender [BGHSt 44, 328] Anwendung des § 222b Abs. 1 StPO) statthaft. Der Senat ist auch zu einer Entscheidung berufen, da die - ursprünglich auf drei Tage angesetzte - Hauptverhandlung noch andauert.
b) Allerdings genügt der Einwand in formeller Hinsicht nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO (in der seit dem 13. Dezember 2019 gültigen Fassung vom 10. Dezember 2019) zu stellenden Anforderungen, wonach die Tatsachen, aus denen sich die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.
Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 hat der Gesetzgeber das Vorabentscheidungsverfahren eingeführt, um frühestmöglich Klarheit über die zutreffende Gerichtsbesetzung zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 29). Es ersetzt damit die nach altem Recht im Wege der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein und die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanfor-derungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO - in der bis zum 12. Dezember 2019 geltenden Fassung - erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. aaO).
Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gem. § 344 Abs. 2 StPO erfordert die Rüge daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus - das heißt, ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke, insbesondere Anlagen, Aktenbestandteile oder Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligten - so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. [zur alten Rechtslage] BGHSt aaO; [zur unveränderten neuen Rechtslage] OLG...