Leitsatz (amtlich)
Beruft sich der Wartepflichtige zu Lasten des Vorfahrtberechtigten auf die Grundsätze der "Lückenrechtsprechung", so hat er darzulegen und zu beweisen, dass die in Höhe einer Einmündung oder Kreuzung vorhandene Verkehrslücke für den Vorfahrtberechtigten auch erkennbar war.
Will der Wartepflichtige eine Mithaftung des Vorfahrtberechtigten damit begründen, dieser hätte den Unfall durch rechtzeitige unfallverhütende Reaktion vermeiden können, so muss er darlegen und beweisen, dass sich der Bevorrechtigte durch überhöhte Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder sich im Zeitpunkt der Erkennbarkeit der Vorfahrtverletzung in einer solchen Entfernung vom Kollisionsort befand, dass eine unfallverhütende Reaktion möglich gewesen wäre.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 107/05) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Berufungskläger erhalten gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit, hierzu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.
Gründe
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Beides ist nicht der Fall.
Das LG ist in der angefochtenen Entscheidung zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1. den streitgegenständlichen Verkehrsunfall allein verschuldet hat und die Beklagten deshalb für die am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Schäden in vollem Umfang haften.
Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden, an. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Die Berufung greift das Urteil des LG nunmehr nur noch insoweit an, als es nicht von einer in den sog. "Lückenfällen" regelmäßigen Mithaftungsquote i.H.v. ¼ ausgegangen ist. Dabei geht die Berufung davon aus, dass das Vorhandensein einer Lücke unstreitig ist, nur deren Größe und Erkennbarkeit für den Kläger vom LG falsch bewertet wurde.
Mit dem LG ist zutreffend davon auszugehen, dass gegen den Beklagten zu 1. der
Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtverletzung spricht, was von der Berufung auch nicht in Zweifel gezogen wird.
Nicht zu beanstanden ist es auch, wenn das LG auf Grund der durchgeführten umfangreichen Beweisaufnahme eine für die "Lückenrechtsprechung" erforderliche, für den Kläger erkennbare Lückensituation, als von den Beklagten nicht bewiesen angesehen hat.
Dabei ist das LG zu Recht davon ausgegangen, dass ein Eingreifen der "Lückenrechtsprechung" nur dann in Betracht kommt, wenn der Vorfahrtberechtigte sich einer erkennbaren Verkehrslücke in Höhe einer Kreuzung oder Einmündung nähert (vgl. KG, Urt. v. 13.5.1976 - 22 U 167/76, VersR 1977, 157).
Will der Wartepflichtige eine Mithaftung des Bevorrechtigten damit begründen, dieser hätte den Unfall durch rechtzeitige unfallverhütende Reaktion vermeiden können, so muss er darlegen und beweisen, dass sich der Bevorrechtigte durch überhöhte Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder sich im Zeitpunkt der Erkennbarkeit der Vorfahrtsverletzung in einer solchen Entfernung vom Kollisionsort befand, dass eine unfallverhütende Reaktion überhaupt möglich gewesen wäre (vgl. KG, Urt. v. 14.11.2002 - 12 U 140/01, KGReport Berlin 2003, 235 = VRS 105, 104 = NZV 2003, 575; v. 22.7.2002 - 12 U 9728/00, KGReport Berlin 2003, 20 = VRS 103, 406 = NZV 2003, 378).
Hieran fehlt es vorliegend.
Wie auch die Berufung nicht verkennt, hat sich die erstinstanzliche Behauptung der Beklagten, der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs sei mit überhöhter Geschwindigkeit an die Unfallstelle herangefahren, nicht bestätigt.
Ebenfalls nicht festgestellt werden konnte nach der durchgeführten Beweisaufnahme, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs eine von den Fahrzeugen auf dem 1. und 2. Fahrstreifen von links frei gelassene Lücke hätte rechtzeitig erkennen können und müssen. Dabei ist das LG in der rechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung der Zeugenaussagen zu Recht davon ausgegangen, dass keiner der unbeteiligten Zeugen eine Situation geschildert hat, in der dem Fahrer des Klägers eine größere frei gelassene Lücke hätte auffallen müssen. Dies lässt sich entgegen den Ausführungen der Berufung auch der Aussage des Zeugen W nicht entnehmen. Dieser hatte zunächst angegeben, dass die Lücke eher klein gewesen sei. Ob und wie groß eine Lücke auf dem äußersten linken Fahrstreifen gewesen sei, vermochte er gar nicht mehr anzugeben. Auch wenn der Zeuge auf Nachfrage angab, dass die gelassene Lücke im mittleren Fahrstre...