Leitsatz (amtlich)
›Es ist ein das Beschleunigungsgebot verletzendes grobes Versäumnis, das zur Aufhebung des Haftbefehls führen kann, wenn die Strafverfolgungsbehörden nicht versuchen, die drohende Ausweisung eines in der Hauptverhandlung benötigten Zeugen bis nach seiner Vernehmung - insbesondere durch Absprachen mit der Ausländerbehörde - aufzuschieben.‹
Gründe
Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeschuldigten Förderung der Prostitution sowie Menschenhandel im Tateinheit mit Zuhälterei zur Last; wegen der Einzelheiten wird auf die Anklage vom 5. Februar l996 Bezug genommen. Der Angeschuldigte befindet sich in dieser Sache seit dem 14. Dezember 1995 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Bis zu diesem Zeitpunkt befand er sich für das Verfahren 68 Js 142/95 seit dem 3. Mai l995 in Untersuchungshaft, mit der er durch Anrechnung die in jenem Verfahren am 14. Dezember 1995 durch das Landgericht Berlin gegen ihn verhängte sechsmonatige Freiheitsstrafe wegen Zuhälterei verbüßt hat. Der Senat hat nach den §§ 121 Abs. l. l22 Abs. 1 StPO über die Fortdauer der Untersuchungshaft zu entscheiden. Er ordnet sie an.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ ll2 Abs. l Satz l StPO). Dies ergibt sich aus den in der Anklage aufgeführten Beweismitteln, insbesondere aus der Aussage des Mitangeschuldigten ... und aus den Aussagen der Zeuginnen ... und .... Zwischen diesen Aussagen besteht entgegen der Ansicht der
Verteidigung kein "unaufgelöster Widerspruch", zumal auch der Mitangeschuldigte nicht von freiwilliger Tätigkeit der Zeuginnen gesprochen hat, sondern sich auch ihm zufolge diese anfangs ziemlich gesträubt haben. Anhaltspunkte dafür, daß der Mitangeschuldigte sich lediglich zum Zwecke eigener Entlastung als "Strohmann" dargestellt und den Angeschuldigten zu Unrecht belastet hat, sind gegenwärtig nicht zu erkennen. Der dringende Tatverdacht ist auch nicht dadurch beseitigt, daß der Angeschuldigte vom 25. Mai 1994 bis zum 31. Januar 1995 als Freigänger seine dreijährige Haftstrafe aus der Verurteilung vom 14. Mai 1993 in der Justizvollzugsanstalt H. teilweise verbüßte. Denn nach dem bisherigen Ermittlungsstand hatte er einen "Strohmann" (den Mitangeschuldigten ...) und auch seinen Vertreter (...). Daß seine wochentägliche Arbeit auf verschiedenen Baustellen außerhalb der Strafanstalt zwischen 8.00 Uhr und 16.00 Uhr eine vorübergehende Abwesenheit insbesondere in den Pausen ausgeschlossen hat, ist nicht anzunehmen. Im übrigen hatte der Angeschuldigte nach seiner Arbeit auch unter Berücksichtigung der Dauer der Rückfahrt in die Strafanstalt etliche Stunden zur freien Verfügung. Erst um 23.00 Uhr mußte er in der Regel dorthin zurückgekehrt sein.
Im übrigen geht der Senat nicht von der von der Verteidigung behaupteten Verfassungswidrigkeit des § 170 a Abs.1 Nr. 2, § 181 a Abs.1 Nr. 2 StGB aus.
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr.2 StPO). Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit der Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, deren Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Ihm droht gegebenenfalls der Widerruf der zum 31. Januar 1995 erfolgten Strafaussetzung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Berlin - 69 Js 218/91 - vom 14. Mai 1993, durch das gegen ihn unter anderem wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine dreijährige Freiheitsstrafe verhängt wurde. Diese Straferwartung begründet einen genügenden Anreiz, sich dem Verfahren durch Flucht zu entziehen. Mildere Maßnahmen (§ 116 StPO), insbesondere eine Haftverschonung unter Auflagen, kommen nicht in Betracht. Der Angeschuldigte ist türkischer Staatsangehöriger, hat ersichtlich keine sozialen Bindungen in Deutschland und bestritt seinen Lebensunterhalt bis zu seiner Festnahme offensichtlich von Einnahmen aus Zuhältertätigkeit.
3. Der besondere Umfang der Ermittlungen und andere wichtige Gründe haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten seit der Inhaftierung des Angeschuldigten nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft (§ 121 Abs. 1 StPO). Die Ermittlungen sind noch mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Die Abtrennung des diese Sache bildenden Tatkomplexes aus dem Verfahren 68 Js 142/95, um jenes nach Abschluß der Ermittlungen im August 1995 anzuklagen - insoweit ist am 14. Dezember 1995 ein Urteil ergangen - hat zu keiner Verzögerung geführt und war sachlich geboten. Denn es bedurfte in der vorliegenden Sache weiterer Ermittlungen; so wurde im Oktober 1995 der Mitangeschuldigte vernommen, aufgrund dessen Aussage die Staatsanwaltschaft den dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten nunmehr als gegeben ansieht. Am 11. Oktober 1995 erging der Haftbefehl. Bis zum Abschluß der Ermittlungen am 15. Januar 1996 waren weitere Ermittlungen erforderlich, insbesondere im Dezember 1995 Durchsuchungen durchzuführen und eine Beschlagnahme richterlich zu bestä...