Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 01.06.2015; Aktenzeichen 102 O 65/14 AktG) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. Juni 2015 - 102 O 65/14 AktG - wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Gerichtsgebühren des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 50.000,00 EUR zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Frage, ob der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin richtig zusammengesetzt ist. Der Antragsteller begehrt insoweit die gerichtliche Feststellung, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nur aus Mitgliedern zusammenzusetzen ist, die die Anteilseigner bestimmt haben.
Der Antragsteller ist Anteilseigner der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ist ein Touristikunternehmen mit Sitz in Berlin und Hannover. Sie bildet mit mehreren abhängigen Unternehmen einen Konzern. Die Antragsgegnerin und ihre Konzernunternehmen beschäftigen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ungefähr 50.000 Arbeitnehmer, von denen rund 10.000 in Deutschland arbeiten.
Der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin hat zwanzig Mitglieder. Er besteht aus zehn Vertretern der Anteilseigner und aus zehn von den Arbeitnehmern bestimmten Vertretern, darunter drei Vertreter von Gewerkschaften.
Der Antragsteller meint, der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin sei falsch zusammengesetzt. Für seine Zusammensetzung hätte das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz - MitbestG) nicht angewendet werden dürfen. Die deutschen Bestimmungen über die Mitbestimmung verstießen gegen Unionsrecht. Dieser Verstoß könne unionsrechtlich nicht gerechtfertigt werden. Zum einen liege ein mittelbarer Verstoß gegen Art. 18 AEUV vor. Die im europäischen Ausland beschäftigten Arbeitnehmer würden aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert. Im Gegensatz zu den in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern könnten sie den Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nicht wählen und in diesen nicht gewählt werden. Zum anderen sei Art. 45 AEUV verletzt. Wenn bisher in Deutschland tätige Arbeitnehmer in einen Betrieb der Antragsgegnerin bzw. in ein Tochterunternehmen in einem anderen Mitgliedstaat wechselten, verlören sie die Möglichkeit, den Aufsichtsrat der Antragsgegnerin zu wählen oder in deren Aufsichtsrat gewählt zu werden. Dieser Umstand mache für die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer einen Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat "weniger attraktiv".
Nach Auffassung der Antragsgegnerin sind die deutschen Bestimmungen über die Mitbestimmung hingegen unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Diskriminierung im Sinne von Art. 18 AEUV komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht eröffnet sei. Es fehle an einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Auch liege kein Verstoß gegen Art. 45 AEUV vor. Die Freizügigkeit werde jedenfalls nicht aufgrund der Staatsangehörigkeit eingeschränkt.
Das Landgericht Berlin, auf dessen Entscheidung entsprechend § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat den Feststellungsantrag des Antragstellers mit Beschluss vom 1. Juni 2015 - 102 O 65/14 AktG - zurückgewiesen und einen Verstoß der deutschen Regelungen über die Mitbestimmung gegen Unionsrecht verneint.
Gegen die Entscheidung des Landgerichts hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, welcher das Landgericht nicht abgeholfen hat. Er rügt weiterhin eine Verletzung von Art. 18 AEUV und Art. 45 AEUV, die seiner Ansicht nach zu einer Unanwendbarkeit des MitbestG führt.
Der Antragsteller beantragt,
unter Abänderung der Entscheidung des Landgerichts festzustellen, dass der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin nicht nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt und gemäß § 96 Abs. 1 Var. 6 AktG nur aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre (Anteilseignervertretern) zusammenzusetzen ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2015 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (KG AG 2015, 872 = DB 2015, 2689):
Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt beantwortet (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2017 - C-566/15, AG 2017, 577 = DB 2017, 1705):
Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, wonach die bei den inländischen Betrieben eines Konzerns beschäftigten Arbeitnehmer das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der in diesem Mit...