Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung bei Rücknahme des Rechtsmittels vor seiner Begründung
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Berufung vor ihrer Begründung zurückgenommen, ist dem Berufungsbeklagten auch dann nur eine halbe Prozessgebühr zu erstatten, wenn er bereits die Zurückweisung der Berufung beantragt hat.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 21 O 683/03) |
Gründe
Die am 7.9.2004 eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist nach §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die im Berufungsverfahren entstandenen Anwaltskosten der Klägerin sind nur in Höhe einer halben Prozessgebühr gem. § 32 Abs. 1 BRAGO als notwendiger Prozessaufwand der Klägerin gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO zu erstatten und im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO auch nur in dieser Höhe festsetzbar.
1. Es ist unstreitig, dass auf Seiten der Klägerin im Berufungsverfahren als Anwaltskosten eine volle 13/10-Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO angefallen ist. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat diese Gebühr verdient, als er mit Schriftsatz vom 14.6.2004 den Antrag angekündigt hat, die von der Gegenseite eingelegte Berufung zurückzuweisen. Von der Entstehung der Gebühr ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob die angefallene Gebühr auch gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO voll als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung zu erstatten ist. Diese Frage hat das LG zu Unrecht bejaht.
Der Senat hat allerdings früher in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass bei einer nicht erkennbar nur fristwahrend eingelegten Berufung die durch den Zurückweisungsantrag ausgelöste volle Prozessgebühr des Anwalt des Berufungsbeklagten auch dann erstattungsfähig ist, wenn die Berufung vor ihrer Begründung zurückgenommen wird (KG JurBüro 1990, 1003). Diese Rechtsprechung hat der Senat aber zwischenzeitlich aufgegeben (KG, Beschl. v. 18.10.2005 - 1 W 176/05; Beschl. v. 24.10.2005 - 1 W 271/05, beide noch nicht veröffentlicht). Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die Stellung eines Sachantrages verfrüht und zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht erforderlich ist, solange ein Berufungsantrag nicht gestellt und das Rechtsmittel nicht begründet worden ist (BAG v. 16.7.2003 - 2 AZB 50/02, BAGReport 2004, 28 = NJW 2003, 3796 m.w.N.; BGH v. 17.12.2002 - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324; zustimmend Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91 Rz. 15). Der Antrag auf Zurückweisung einer Berufung hat in diesem Stadium des Verfahrens noch keinen tatsächlichen Gehalt. Erst wenn das Rechtsmittel begründet worden ist, kann sich der Berufungsbeklagte inhaltlich mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag das Verfahren aus objektiver Sicht fördern (BGH v. 17.12.2002 - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324). Es ist insofern unerheblich, ob der Rechtsmittelkläger zuvor ein Stillhalteabkommen mit dem Prozessgegner herbeigeführt oder zumindest angestrebt hat (BGH v. 17.12.2002 - X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324).
Aus diesen Gründen kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 14.6.2004 bereits von Vergleichsbemühungen der Beklagten wusste. Denn die Erstattung der über die Gebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO hinausgehenden Kosten kommt gleichwohl nicht in Betracht, weil die Berufung vor ihrer Begründung zurückgenommen worden ist.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es für das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO auch unerheblich, ob der Berufungsrücknahme ein außergerichtlicher Vergleich zugrunde lag, wonach die Klägerin auf aufgelaufene Zinsen verzichtet und die Beklagte die Kosten der ersten Instanz zu 100 % sowie die entstandenen Kosten der Klägerin in zweiter Instanz zu tragen hat. Im Kostenfestsetzungsverfahren dürfen nur Kosten festgesetzt werden, die aufgrund eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels geschuldet sind (§ 103 Abs. 1 ZPO). Das sind Kosten, die aufgrund der Kostenentscheidung eines Urteils oder eines gerichtlichen Beschlusses oder nach der Kostenregelung eines Prozessvergleichs zu erstatten sind, nicht aber die Kosten, die aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs von der einen Partei an die andere zu zahlen sind (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 63. Aufl., § 103 Rz. 5, Stichwort außergerichtlicher Vergleich). Die - auch im vorliegenden Fall aufgetauchte - Frage, ob und in welcher Höhe Kosten nach einem außergerichtlichen Vergleich der Parteien geschuldet werden, betrifft materielles Recht. Die Streitentscheidung in Fragen des materiellen Rechts erfolgt jedoch im Prozess; sie ist nicht Aufgabe des Kostenfestsetzungsverfahrens, welches ein reines Betragsverfahren darstellt und nur der Ausfüllung der bereits getroffenen Kostengrundentscheidung des Festsetzungstitels dient.
Fundstellen