Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsorglich eingelegte Berufung
Leitsatz (amtlich)
1. Hat eine Partei die Berufung ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt und nimmt sie ihr Rechtsmittel, bevor sie es begründet hat, innerhalb der (verlängerten) Begründungsfrist zurück, ist die durch den Sachantrag der Gegenpartei ausgelöste zweite Hälfte der Prozessgebühr auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der Berufungsführer in seinem Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist nicht nochmals auf die Vorsorglichkeit der Berufung hingewiesen hat (Aufgabe von KG JurBüro 1991, 1193).
2. Es wird offen gelassen, ob an der Rspr. des Senats (KG JurBüro 1990, 1003) festgehalten wird, dass ein vor der Berufungsbegründung gestellter Sachantrag stets dann als notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen ist, wenn die Berufung ohne Vorsorglichkeitserklärung eingelegt wurde, oder ob auch hier ausschlaggebend ist, dass der vorzeitige Antrag bei objektiver Beurteilung keine Förderung des Prozesserfolgs erwarten lässt.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 01.04.2003; Aktenzeichen 32 O 345/02) |
Tenor
Der 1. ZS des KG hat auf die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Berlin v. 1.4.2003 durch die Ri'inLG Br. R. als Einzelrichterin am 16.9.2003 beschlossen:
In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden die nach dem vollstreckbaren Beschluss des KG vom 10.3.2003 – 8 U 2/03 – von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf nur 165,71 Euro nebst Zinsen i.H.v. 4 % seit dem 20.3.2003 festgesetzt. Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 20.3.2003 i.d.F. vom 25.3.2003 wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin die Gerichtskosten nach einem Wert bis 300 Euro. Die außergerichtlichen Kosten werden nach einem Wert bis 600 Euro gegeneinander aufgehoben.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 104 Abs. 3 ZPO) und in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Die der Beklagten im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten sind nur wie folgt erstattungsfähig:
1/2 Prozessgebühr §§ 31 Abs. 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 BRAGO 13/20 122,85 Euro
Auslagenpauschale § 26 BRAGO 20,00 Euro
Umsatzsteuer § 25 Abs. 2 BRAGO aus 142,85 Euro 16 % 22,86 Euro
165,71 Euro
Die durch den Sachantrag vom 23.1.2003 ausgelöste zweite Hälfte der Prozessgebühr ist der Beklagten durch die Klägerin nicht zu erstatten, weil diese Kosten nicht i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Erstattungsrechtlich ist jede Partei gehalten, ihre Kosten so niedrig zu halten, wie sich dies mit einer ordentlichen, die eigenen Rechte in vollem Umfang wahrnehmenden Prozessführung verträgt; von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts ist die Frage zu unterscheiden, welche Maßnahmen der einmal bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für erforderlich halten darf. Hat eine Partei – wie hier – die Berufung ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt und nimmt sie ihr Rechtsmittel, bevor sie es begründet hat, innerhalb der Begründungsfrist zurück, ist der Antrag der Gegenpartei auf Zurückweisung der Berufung zur zweckentsprechenden Verteidigung gegen das Rechtsmittel nicht erforderlich (vgl. BGH v. 3.6.2003 – VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 = BB 2003, 1754; v. 17.12.2002 – X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324; KG JurBüro 1991, 1193; v. 28.9.1984 – 1 W 5824/83, AnwBl. 1984, 621; v. 30.4.1982 – 1 WF 2029/82, RPfleger 1982, 355). Der Antrag auf Zurückweisung der Berufung ist sachlich nicht gerechtfertigt, solange ein Berufungsantrag nicht gestellt und das Rechtsmittel nicht begründet worden ist. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann sich der Berufungsbeklagte inhaltlich mit dem Antrag und der Begründung auseinander setzen und durch einen entspr. Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern (vgl. BGH v. 3.6.2003 – VIII ZB 19/03, BGHReport 2003, 1115 = MDR 2003, 1140 = BB 2003, 1754; v. 17.12.2002 – X ZB 27/02, MDR 2003, 414 = BGHReport 2003, 355 = NJW 2003, 1324).
Das gilt auch dann, wenn die Begründungsfrist verlängert worden ist und der Berufungsführer in seinem Antrag auf Fristverlängerung nicht nochmals auf die Vorsorglichkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat; insoweit gibt der Senat seine abweichende Rspr. (KG JurBüro 1991, 1193) auf. Es besteht – ohne besondere und hier fehlende Anhaltspunkte – für den Berufungsgegner kein Anlass, allein auf Grund eines Antrags auf Fristverlängerung anzunehmen, der Berufungsführer habe sich bereits entschlossen, das Rechtsmittel durchzuführen; die in dem Verlängerungsantrag enthaltenen Angaben dienen regelmäßig nur der Darlegung von Gründen gem. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO. Da be...