Leitsatz (amtlich)
Die Auffassung, dass die wirksame Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes es ausschließe, dass ein anderes Gericht durch rügelose Einlassung nach § 39 ZPO zuständig wird, ist nicht nur unrichtig, sondern objektiv willkürlich; einem auf ihr beruhenden Verweisungsbeschluss kommt deshalb keine Bindungswirkung zu.
Verfahrensgang
LG Kassel (Aktenzeichen 9 O 213/05) |
LG Berlin (Aktenzeichen 30 O 233/04) |
Tenor
Das LG Berlin wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt aus einem Bauwerkvertrag die Beklagte, ihre Auftraggeberin, auf Werklohn in Anspruch. In dem Vertrag haben die Parteien, beide Kaufleute, die Geltung der VOB/B vereinbart; abweichende Vereinbarungen zu der Regelung in § 18 Nr. 1 VOB/B, die die Gerichte am Sitz des Auftraggebers zuständig sein lässt, haben sie dabei nicht getroffen. Die Klägerin hat ihre Klage am Ort des Bauwerks, nämlich bei dem LG Berlin erhoben; die Beklagte hat sich dort im ersten Verhandlungstermin rügelos eingelassen. Auf einen späteren Hinweis des Gerichts hat sie die örtliche Zuständigkeit gerügt. Auf den Hilfsantrag der Klägerin hat das zunächst angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneint, weil die nach § 18 Nr. 1 VOB/B vereinbarte Zuständigkeit eine ausschließliche sei und deshalb § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO der Zuständigkeitsbegründung nach § 39 ZPO entgegenstehe, und hat den Rechtsstreit an das für den Sitz der Beklagten zuständige LG Kassel verwiesen. Dieses Gericht hat zurückverwiesen, weil der nach der VOB vereinbarte Gerichtsstand kein ausschließlicher sei und deshalb das zuerst angerufene Gericht seine eigene Zuständigkeit nach § 39 ZPO habe bejahen müssen. Das LG Berlin hat nunmehr den Zuständigkeitskonflikt dem KG zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor, denn die beteiligten Gerichte haben sich beide rechtskräftig (zum Begriff BGH v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, MDR 1988, 470 = NJW 1988, 1794 f.; v. 4.6.1997 - XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt.
Die Zuständigkeit des LG Kassel folgt nicht aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des LG Berlin vom 14.1.2005. Die grundsätzliche Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen - hier: nach § 281 Abs. 2 S. 2 und S. 4 ZPO - für das aufnehmende Gericht entfällt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, namentlich bei Verletzung des rechtlichen Gehörs oder wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint (BGH v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, MDR 1993, 576 = NJW 1993, 1273). Das ist unter Anderem dann der Fall, wenn das verweisende Gericht eine in Rechtsprechung und Schrifttum einhellige Ansicht außer Acht gelassen und deshalb seine eigene Unzuständigkeit nicht nachvollziehbar begründet hat. Um einen solchen Fall handelt es sich hier:
Die Auffassung des LG Berlin, dass es für den Rechtsstreit unzuständig sei, beruht auf zwei notwendigen Annahmen, nämlich dass zum einen durch die (hier zweifelsfrei wirksame) Zuständigkeitsvereinbarung nach § 18 Nr. 1 VOB/B ein ausschließlicher örtlicher Gerichtsstand am Sitz der Auftraggeberin begründet werde, und dass zum anderen die vertragliche Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes ein Fall des § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO sei und deshalb die Begründung der Zuständigkeit eines nicht vereinbarten Gerichts durch rügelose Einlassung nach § 39 ZPO ausschließe.
Die erste Annahme ist nicht zweifelsfrei, aber sie ist mindestens vertretbar; sie wird u.a. in dem meistverbreiteten VOB-Kommentar vertreten (Joussen in Locher/Vygen, 15. Aufl., B § 18 Rz. 41). Das verweisende Gericht hat sie, wie seine Beschlussgründe ausweisen, nach gewissenhafter Prüfung bejaht. Von objektiver Willkür kann insoweit nicht im Entferntesten die Rede sein.
Die zweite Annahme ist dagegen nicht nur unrichtig, sondern unvertretbar; sie wird auch nirgends vertreten. Nach einhelliger Ansicht hindert die auf einer Gerichtsstandsvereinbarung beruhende Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht, dass seine Zuständigkeit durch rügelose Einlassung des Beklagten nach § 39 ZPO begründet wird (Joussen in Locher/Vygen, 15. Aufl., B § 18 Rz. 31; BGH v. 21.11.1996 - IX ZR 264/95, MDR 1997, 288 = NJW 1997, 397 m.w.N.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 39 Rz. 6; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 39 Rz. 7; Stein-Jonas/Bork, 22. Aufl., § 39 Rz. 5, § 38 Rz. 66; Musielak/Heinrich, 4. Aufl., § 39 Rz. 8; Putzo in Thomas/Putzo, 26. Aufl., § 39 Rz. 10). § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift stellt nur klar, dass diejenigen zwingenden gesetzlichen Zuständigkeitsregeln, die nach S. 1 Nrn. 1 und 2 dieser Vorschrift nicht zur Disposition der Parteien durch Prorogationsvertrag stehen, nach § 39 ZPO ebenso wenig zu ihrer Disposition gestellt sind. Es wäre ganz sinnlos, von den Parteien getroffene ausschließliche Zuständigkeitsvereinbarungen in derselben Weise "einlassungsfest" zu machen wie zwingende gesetzlich...