Leitsatz (amtlich)

1. Erlässt ein Gericht einen Verweisungsbeschluss, ohne den Ablauf einer Frist zur Stellungnahme zu dem Verweisungsantrag abzuwarten, lässt dies noch nicht die Bindungswirkung des Beschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO entfallen, wenn die Parteien zuvor Gelegenheit hatten, zur Zuständigkeit Stellung zu nehmen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 26.8.2014 - X ARZ 275/14).

2. Nach Widerruf eines Darlehensvertrages besteht kein einheitlicher Erfüllungsort nach § 29 ZPO für die wechselseitigen Zahlungsverpflichtungen; Erfüllungsort ist vielmehr der Sitz bzw. Wohnsitz des Schuldners der jeweils geltend gemachten Forderung. Die Rechtsprechung zur Rückabwicklung von Verträgen über den Kauf beweglicher Sachen ist insoweit nicht anwendbar.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 21 O 435/15)

LG Berlin (Aktenzeichen 10 O 347/15)

 

Tenor

Das LG Stuttgart wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Die in Berlin ansässige Klägerin verlangt von der Beklagten nach dem Widerruf zweier Darlehensverträge die Rückzahlung von Aufhebungsentgelten, welche zuvor für eine vorzeitige Ablösung der Darlehen von den Parteien vereinbart und von der Klägerin gezahlt worden waren. Das beklagte Kreditinstitut hat seinen Sitz in Stuttgart.

Nach dem Eingang der Klage bei dem LG Berlin hat der Vorsitzende der dortigen Zivilkammer 10 mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens am 13.10.2015 die Klägerin darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestünden, da bei einem Zahlungsanspruch aus einem Rückabwicklungsverhältnis der Erfüllungsort grundsätzlich am Ort des Zahlungsverpflichteten liegen dürfte, vorliegend also am Sitz der Beklagten in Stuttgart. Im Hinblick darauf werde Gelegenheit zur Stellungnahme und gegebenenfalls Stellung eines Verweisungsantrags binnen zwei Wochen gegeben. Der Beklagten ist eine beglaubigte Abschrift dieser Verfügung mit der Klageschrift am 20.10.2015 zugestellt worden.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 3.11.2015 an ihrer Rechtsauffassung, wonach das LG Berlin gemäß § 29 ZPO zuständig sei, zwar festgehalten, hilfsweise aber eine Verweisung des Rechtsstreits an das LG Stuttgart beantragt. Mit Verfügung vom 5.11.2015, die am 6.11. ausgeführt wurde, ließ der Vorsitzende der Zivilkammer des LG Berlin den Schriftsatz den Beklagtenvertretern zur Stellungnahme binnen zwei Wochen zuleiten. Am 17.11.2015 beantragte die Beklagte eine Verlängerung der Klageerwiderungsfrist um vier Wochen, ohne sich zur Frage der örtlichen Zuständigkeit und zu dem Verweisungsantrag der Klägerin zu äußern. Bereits mit Beschluss vom 18.11.2015 erklärte sich das LG Berlin daraufhin für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf den hilfsweisen Verweisungsantrag der Klägerin an das LG Stuttgart. Nach Erlass des Verweisungsbeschlusses und vor seiner Zustellung an die Parteien teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.11.2015 mit, dass sie sich vor dem LG Berlin rügelos einlassen und eine etwaige örtliche Unzuständigkeit nicht geltend machen wolle.

Das LG Stuttgart erklärte sich mit Beschluss vom 18.1.2016 seinerseits für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin zurück an das LG Berlin. Zur Begründung führte das LG Stuttgart aus, dass der Verweisungsbeschluss des LG Berlin keine Bindungswirkung entfalte, weil er vor Ablauf der gesetzten Stellungnahmefrist zu dem Verweisungsantrag und damit unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten ergangen sei. Mit Verfügung ihres Vorsitzenden vom 5.2.2016 hat die Zivilkammer 10 des LG Berlin daraufhin die Sache dem Kammergericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil das LG Berlin als das zuerst mit dem Rechtsstreit befasste Gericht zu seinen Bezirk gehört und das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof wäre.

2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind auch der Sache nach gegeben, weil sowohl das LG Berlin als auch das LG Stuttgart sich rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschluss vom 4.6.1997 - XII AZR 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben. Dabei ist es insoweit unschädlich, dass das LG Stuttgart die Parteien vor dem Erlass seines Beschlusses vom 18.1.2016 nicht angehört hat, denn es hat beiden Parteien seine Entscheidung nachträglich bekannt gemacht, was ausreichend ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 36 Rn. 25).

3. a. Das LG Stuttgart ist jedenfalls auf Grund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des LG Berlin gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zuständig geworden. Die genannte Bestimmung entzieht auch einen sachlich fehlerhaften und zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich der Überprüfung. Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die der Prozessökonomie dienen und Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden sol...

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