Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 24a StVG bei angeblich unbewusster Alkoholaufnahme
Leitsatz (amtlich)
Zu den Darlegungs- und Erörterungsanforderungen im Urteil bei (hier: unechtem Teil-) Freispruch vom Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG im Falle angeblich unbewusster Alkoholaufnahme.
Normenkette
StVG § 24a
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 03.12.2015; Aktenzeichen 345 OWi 366/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.
Gründe
Der Polizeipräsident in Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 20. April 2015 gegen den aufgrund zweier Geschwindigkeitsüberschreitungen vorbelasteten Betroffenen wegen tateinheitlich begangener Ordnungswidrigkeiten nach § 24a Abs. 1 StVG und § 37 Abs. 2 (Nr. 1 Satz 7) StVO iVm § 24 StVG eine Geldbuße von 550 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Der Betroffene soll, so der Vorwurf des Bußgeldbescheids, mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l rotes Ampellicht missachtet haben. Auf seinen Einspruch hat das Amtsgericht den Betroffenen zu einer Geldbuße von 110 Euro verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Es hat ihn lediglich eines "einfachen" Rotlichtverstoßes für überführt angesehen, nicht aber der Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG. An einer diesbezüglichen Verurteilung hat sich die Bußgeldrichterin gehindert gesehen, weil dem Betroffenen kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen sei. Sie hat dem Betroffenen geglaubt, er habe in einer Gaststätte ein alkoholfreies Weizenbier bestellt, aber offenbar ein alkoholhaltiges erhalten, und auch vor und während der Fahrt habe er nicht bemerkt, alkoholisiert gewesen zu sein.
Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin beanstandet, dass der Betroffene weder wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes noch wegen der Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG verurteilt worden ist. Auch rügt sie, dass das Amtsgericht den durch die polizeilichen Zeugen bekundeten und im Urteil festgehaltenen Umstand, dass der Betroffene durch ein am Fahrbahnrand stehendes Fahrzeug überrascht war und mit einem Schlenker ausweichen musste, nicht zum Anlass genommen hat, unter dem Gesichtspunkt des § 316 StGB in das Strafverfahren überzuleiten. Schließlich beanstandet die Amtsanwaltschaft, dass das Amtsgericht weder die Wirtsperson noch einen namentlich bekannten Gast als Zeugen vernommen hat. Die zu Ungunsten des Betroffenen eingelegte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft hat mit der Rüge sachlichen Rechts Erfolg.
1. Unzulässig ist allerdings die Beanstandung, das Amtsgericht habe weder die Wirtsperson noch den anwesenden Gast des Lokals als Zeugen vernommen. Auch wenn die Amtsanwaltschaft ausdrücklich nur die Verletzung materiellen Rechts rügt, handelt es sich hierbei um eine Aufklärungsrüge. Diese ist nicht in einer § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt.
2. Dahinstehen kann die Frage, ob sich das Amtsgericht des Unterschieds zwischen der in mg/l gemessenen Atemalkohol- und der üblicherweise in Promille bezeichneten Blutalkoholkonzentration bewusst war. Diesbezügliche Zweifel ergeben sich bereits daraus, dass sowohl bei den Urteilsfeststellungen (UA S. 3) als auch bei der Beweiswürdigung (UA S. 5) von einer "Atemalkoholkonzentration von 0,35 Promille" die Rede ist. Ein derartiger Irrtum wäre von Bedeutung, denn der Atemalkoholwert ist gegenüber dem Blutalkoholwert ein "tatbestandliches Aliud" (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, StVG 43. Aufl., § 24a Rn 16). Und es liegt auf der Hand, dass die Einlassung des Betroffenen, er habe (nur) "ein Weizenbier" getrunken auf der Grundlage einer mit 0,35 Promille gemessenen Blutalkoholkonzentration glaubhafter wäre als bei einer Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l.
3. Es kann auch offen bleiben, ob die Beweiswürdigung widersprüchlich ist. Anlass zu dieser Einschätzung könnte geben, dass es in den Urteilsgründen einerseits heißt, die Einlassung des Betroffenen, er sei "davon ausgegangen, ein alkoholfreies Weizen getrunken zu haben", sei "nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit zu widerlegen" (UA S. 5). Andererseits heißt es im Urteil, dass das "Gericht davon überzeugt" sei, "dass der Betroffene davon ausging, ein alkoholfreies Bier getrunken zu haben" (UA S. 6).
4. Jedenfalls leidet das Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Es gibt zwar die den Fahrlässigkeitsvorwurf in Frage stellende Einlassung des Betroffenen wieder und erörtert sie, unterlässt es aber, auch die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände in gleicher Weise darzustellen und zu erörtern (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338, NStZ 2012, 227; Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 58. Aufl., § 267 Rn. 33). Auch enthält das Urteil, obwohl sich der Betroffene umfassend eingelassen hat, keine An...