Entscheidungsstichwort (Thema)
Alkoholverbot für Fahranfänger: keine Wirkung bei einer Atemalkoholkonzentration von 0,05 mg/l
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Auslegung des Begriffs der Wirkung im Sinne des § 24c Abs. 1 Alt. 2 StVG sind zum einen die allgemein anerkannten medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse, zum anderen die in Umsetzung solcher Erkenntnisse getroffenen rechtlichen Wertentscheidungen des § 24a Abs. 1 StVG zu beachten.
2. Eine Wirkung liegt regelmäßig erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille bzw. einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l vor.
3. Ob ausnahmsweise bei Fahrauffälligkeiten eine Wirkung schon unterhalb dieser Werte in Betracht kommen kann, ist zweifelhaft, kann hier aber offenbleiben.
Normenkette
StVG § 24c Abs. 1 Alt. 2
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 13.07.2015; Aktenzeichen (401/401a OWi) 3031 Js-OWi 14290/14 (37/14) Jug) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 13. Juli 2015 aufgehoben. Der Betroffene wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die darin entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Alkoholverbot für Fahranfänger (§ 24 c Abs. 1 Alt. 2 StVG) eine Geldbuße in Höhe von 250 € verhängt. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der damals 20 Jahre alte Betroffene einen PKW geführt, nachdem er in der Nacht zuvor Alkohol getrunken hatte. Die etwa eine halbe Stunde nach Fahrtende durchgeführte Atemalkoholmessung mit dem Gerät Dräger Alcotest 7110 Evidential ergab einen Wert von 0,05 mg/l.
Durch Beschluss vom 12. Februar 2016 hat die Einzelrichterin die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen und gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2, Satz 1 Alt. 1 OWiG die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen.
II.
Die nach ihrer Zulassung gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg.
Nach § 24c Abs. 1 StVG in der hier allein in Betracht kommenden zweiten Tatbestandsalternative handelt ein Fahranfänger ordnungswidrig, wenn er die Fahrt antritt, obwohl er unter der Wirkung eines alkoholischen Getränks steht. Die Urteilsfeststellungen belegen nicht, dass das hier der Fall war.
Eine Wirkung im Sinne des § 24c Abs. 1 Alt. 2 StVG kann erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l angenommen werden, die der Betroffene mit der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,05 mg/l nicht erreicht hat.
1. Obwohl § 24c Abs. 1 StVG keine Grenzwerte festlegt, ging der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs 16/5047, S. 9) im Anschluss an einen Vorschlag der Alkohol-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (BA 44 [2007], 169) davon aus, dass eine Wirkung unterhalb von 0,2 Promille bzw. 0,1 mg/l aus messtechnischen und medizinischen Gründen grundsätzlich ausscheidet. Das Schrifttum hat sich dem im Wesentlichen angeschlossen (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 24c StVG Rn. 11; Krumm NJW 2015, 1863, 1864; Janker DAR 2013, 398; ders. DAR 2007, 497, 499; Hufnagel NJW 2007, 2577, 2578; Burhoff VRR 2007, 371, 374).
2. Die zu § 24c StVG bekannt gewordene Rechtsprechung ist nicht umfangreich und bietet kein einheitliches Bild. Für Grenzwerte von 0,2 Promille bzw. 0,1 mg/l haben sich bisher das AG Langenfeld (Urteil vom 4. April 2011 - 20 OWi 42/11 -, juris Rn. 2: Freispruch bei einer gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,06 mg/l) und das AG Biberach (Urteil vom 31. Juli 2012 - 5 OWi 250 Js 5856/12 -, wiedergegeben in OLG Stuttgart NZV 2013, 563: Verurteilung bei einer gemessenen Blutalkoholkonzentration von 0,25 Promille) ausgesprochen. Auf der gleichen Linie liegt eine Entscheidung des LAG Köln (Urteil vom 19. März 2008 - 7 Sa 1369/07 -, juris), die bei einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l einen Verstoß gegen die mit § 24c Abs. 1 StVG inhaltlich vergleichbare Regelung in § 9 Abs. 11 Nr. 18 der Gefahrgutverordnung Straße und Eisenbahn (GGVSE) annahm, ohne allerdings die Frage eines Grenzwertes zu thematisieren. Demgegenüber sprach das AG Herne (Urteil vom 17. Dezember 2008 - 15 OWi 60 Js 584/08 - 5/08 -, juris Rn. 2) den Betroffenen bei einem gemessenen Atemalkoholwert von 0,13 mg/l frei, weil nach den - nicht näher mitgeteilten - Bekundungen des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen der Grenzwert für die Annahme einer Wirkung derzeit bei mindestens 0,26 Promille Alkohol im Blut und bei dem konkreten Betroffenen aufgrund seiner körperlichen Konstitution sogar bei 0,3 Promille liege. Das OLG Stuttgart, a. a O., das über die Rechtsbeschwerde gegen das o. g. Urteil des AG Biberach zu entscheiden hatte, hat zwar die Verurteilung des Betroffenen bestätigt, dem Grundwert von 0,1 Promille jedoch nur einen Sicherheit...