Leitsatz (amtlich)
1. Die geltend gemachte Verweigerung des Zugangs zu dem Gericht nicht vorliegenden (Mess-)Unterlagen stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.
2. Eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung der Regelung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG auf Fälle von Verstößen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens kommt nicht in Betracht.
3. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung eines Beweisantrages kann im Zulassungsverfahren nur dann vorliegen, wenn die Ablehnung willkürlich ist.
4. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nicht allein deshalb, weil das amtsgerichtliche Urteil nicht mit Entscheidungsgründen versehen ist.
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 03.03.2021; Aktenzeichen (340 OWi) 3022 Js-OWi 11019/20 (597/20)) |
Tenor
Der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. März 2021 wird verworfen.
Die Betroffene hat die Kosten ihrer nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen.
Gründe
Der Senat merkt Folgendes an:
In Verfahren wie dem vorliegenden, in denen die verhängte Geldbuße nicht mehr als 100 Euro beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Danach ist ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn der Zulassungsgrund der Fortbildung des materiellen Rechts nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG oder der der Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geltend gemacht wird.
Der Zulassungsantrag war zu verwerfen, weil kein Zulassungsgrund vorliegt.
1.
Die Betroffene macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.
Eine Versagung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist nach den für die Auslegung des Art. 103 Abs. 1 GG maßgebenden Grundsätzen zu bestimmen (vgl. nur Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 80 Rn. 16a m.w.N.). Der Anspruch ist insbesondere verletzt, wenn ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten verwertet hat, zu denen dieser nicht gehört worden ist (vgl. Seitz/Bauer a.a.O. m.w.N.; vgl. auch Maul in KK, StPO 8. Aufl., § 33a Rn. 3). Daneben umfasst der Anspruch das Recht, Kenntnis von Anträgen und Rechtsausführungen anderer Verfahrensbeteiligter zu erhalten, sich hierzu äußern und das eigene Prozessverhalten darauf einstellen zu können (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 33a Rn. 3). Außerdem verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2020 - 2 BvR 336/19 -, juris m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund kann der Anspruch auf rechtliches Gehör unter anderem dann verletzt sein, wenn dem Betroffenen für eine Äußerung zu verfahrensrelevanten Umständen unzureichende Zeit zur Verfügung stand, wenn das Gericht kurzfristig einen nicht angekündigten Beweis erhoben und verwertet hat, oder wenn ein Beweisantrag nicht beschieden oder unter deutlichem Verstoß gegen § 77 OWiG zurückgewiesen worden ist (vgl. Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 16b m.w.N.).
a) Die Betroffene trägt zur Begründung vor, ihr Verteidiger habe mit an den Polizeipräsidenten gerichteten Schreiben vom 9. Februar 2021 beantragt, ihm zum Zwecke der Überprüfung des Rotlichtverstoßes Einsicht in die gesamte Verfahrensakte zu gewähren, insbesondere in die Rohmessdaten und in die Messreihe. Der Antrag sei zu den Akten nachgereicht worden. In der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 3. März 2021 habe der Verteidiger den Antrag wortgleich erneut gestellt. Das Amtsgericht habe den Antrag zurückgewiesen. Zuvor habe der Verteidiger bereits unter dem 18. August 2020 bei dem Polizeipräsidenten Akteneinsicht (insbesondere in Eichschein, Zulassungsbescheinigung der PTB, Fotos, Ausbildungsnachweis, Wartungsprotokolle, Bedienungsanleitung) beantragt. Einige dieser Unterlagen seien ihm zugeleitet worden.
b) Eine Auslegung des Antragsvorbringens ergibt zunächst, dass der Verteidiger mit seinem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht die Einsichtnahme in die bei Gericht vorhandene Verfahrensakte, sondern in darüberhinausgehende, dem Gericht nicht vorliegende Unterlagen begehrte. Die demnach geltend gemachte Verweigerung des Zugangs zu dem Gericht nicht vorliegenden Daten und Unterlagen zum Zwecke der Überprüfung des Ergebnisses der Rotlichtverstoßes stellt jedoch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. April 2021 - 3 Ws (B) 84/21 - m.w.N. und 2. April 2019 - 3 Ws (B) 97/19 -, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 2. März 2021 - 2 RB 5/21 -, juris m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 6. April 2020 - 201 ObOWi 291/20 -, juris).
Zwar ist obergerichtlich geklärt, dass der Verteidiger, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche ...