Leitsatz (amtlich)

Unterlässt es das Nachlassgericht, vor Feststellung des Fiskuserbrechts ein Verfahren nach § 1965 BGB durchzuführen, ist ein Erbprätendent befugt, gegen den Feststellungsbeschluss Beschwerde zu erheben (Abgrenzung zu KGJ 39, A 88, 89 f.).

 

Normenkette

FamFG § 59; BGB §§ 1964-1965

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 22.03.2010; Aktenzeichen 61 VI 800/09)

 

Tenor

Der Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 22.3.2010 - 61 VI 800/2009 - wird aufgehoben.

 

Gründe

I. Der Erblasser errichtete unter dem 4.4.1988 ein eigenhändig geschriebenes Testament, in dem er seine Ehefrau zur Erbin einsetzte und "alle anderen Verwandten (...) vom Erbe ausdrücklich" ausschloss. Weiter heißt es in dem Testament: "Im Falle des gleichzeitigen Todes mit meiner Frau setze ich als Erben die E. Kirchengemeinde A. R. [die Beteiligte zu 2] ein".

Die Ehefrau errichtete am selben Tag ein wortgleiches Testament, in dem sie den Erblasser als Erben einsetzte. Die Ehegatten verschlossen die Testamente in einem Umschlag und gaben diesen in die amtliche Verwahrung des AG Wedding. Die Ehe blieb kinderlos.

Am 2.8.2006 verstarb die Ehefrau des Erblassers. Dieser erlitt im Jahr 2009 einen Schlaganfall, weshalb für ihn am 23.9.2009 ein Betreuer bestellt wurde, der bereits mit Beschluss vom 23.3.2009 vorläufig bestellt worden war. Dieser teilte dem Nachlassgericht am 9.3.2010 mit, dass ihm Verwandte des Erblassers nicht bekannt seien. Aus einer beigefügten Vermögensübersicht ergibt sich ein Nachlasswert von ca. 277.000 EUR.

Mit Verfügung vom 18.3.2010 hat die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts die Feststellung des Fiskalerbrechts angeregt. Ein Aufgebot sei wegen des Ausschlusses des Verwandtenerbrechts nicht erforderlich. Mit Beschluss vom 22.3.2010 stellte das Nachlassgericht - Richterin - fest, dass kein anderer Erbe als das Land Berlin vorhanden ist. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 2 mit ihrer Beschwerde vom 20.4.2010, in der sie die Ansicht vertritt, sie sei testamentarische Erbin geworden. Der Wortlaut der Testamente vom 4.4.1988 stehe einer entsprechenden Auslegung nicht entgegen.

Die Beteiligte zu 1 ist der Beschwerde entgegen getreten. Das Nachlassgericht hat mit den Beteiligten nicht mitgeteilter Verfügung vom 28.10.2010 der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht, §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 2 FamFG, bei dem Nachlassgericht, § 64 Abs. 1 FamFG, erhoben worden.

Die Beteiligte zu 2 ist auch beschwerdeberechtigt. Sie wird durch die angefochtene Entscheidung in ihren Rechten beeinträchtigt, § 59 Abs. 1 FamFG. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist von dem von der Beteiligten zu 2 behaupteten, den Feststellungen des AG nach § 1964 BGB entgegenstehenden Erbrecht als sog. doppelt relevante Tatsache auszugehen (KG, Beschl. v. 29.11.1994 - 1 W 2837/94, FamRZ 1995, 837, 838; Müther, in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 59 Rz. 12; Abramenko, in: Prütting/Helms, FamFG, § 59 FamFG, Rz. 15). Dieses Recht wird durch die Feststellung des Fiskalerbrechts beeinträchtigt, das überhaupt nur bei gesetzlicher Erbfolge zur Anwendung kommt, § 1936 Abs. 1 BGB.

Allerdings sollen im Hinblick auf § 1965 Abs. 2 S. 1 BGB solche Erbprätendenten von der Anfechtung eines das Fiskalerbrecht feststellenden Beschlusses ausgeschlossen sein, die ihre Rechte nicht im Verfahren nach § 1965 BGB angemeldet haben (Senat, Beschl. v. 7.2.1910 - 1 X 491/09 -, KGJ 39 A 88, 89 f.; Leipold in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 1964 Rz. 12; Marotzke in Staudinger, BGB 2008, 1964, Rz. 18; Wildemann, in: Juris-PK, BGB, 5. Aufl., § 1964 Rz. 8). Das steht der Beschwerdebefugnis der Beteiligten zu 2 hier aber nicht entgegen, weil das AG ein Verfahren nach § 1965 BGB überhaupt nicht durchgeführt hat, eine Anmeldung des von der Beteiligten zu 2 behaupteten Erbrechts also gar nicht möglich gewesen ist.

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Senat tritt als Beschwerdegericht in den Grenzen des Rechtsmittels vollständig an die Stelle der ersten Instanz (Müther, a.a.O., § 68 Rz. 12). Auch wenn der Beschwerdeführer sein Rechtsmittel begründen soll, § 65 Abs. 1 BGB, ist das Beschwerdegericht hieran grundsätzlich nicht gebunden, wenn sich aus der Begründung nicht eine Beschränkung des Rechtsmittels ergibt (vgl. Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, FamFG, 16. Aufl., § 68 Rz. 42). Das ist hier nicht der Fall. Zwar hat Beteiligte zu 2 zur Begründung ihrer Beschwerde allein auf die ihrer Ansicht nach anders auszulegenden Testamente vom 4.4.1988 abgestellt. Den Beschluss des AG vom 22.3.2010 hat sie jedoch in vollem Umfang angefochten. Verfahrensgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist damit nicht allein die Frage der Auslegung der Testamente vom 4.4.1988, sondern die Erbrechtslage insgesamt (BayObLG, FamRZ 1986, 729).

Gemäß § 1964 Abs. 1 BGB hat das Nachlassgericht festzustellen, dass ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, wenn der Erbe nicht innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist ermittelt werden k...

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