Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 05.12.2016; Aktenzeichen (324 OWi) 3031 Js-OWi 10465/16 (437/16)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. Dezember 2016 aufgehoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens hat die Landeskasse Berlin, seine notwendigen Auslagen der Betroffene zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1 (zu ergänzen: i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 7., lfd. Nr. 49 (Zeichen 274)), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO (zu ergänzen: i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Anlage (zu § 1 Abs. 1) lfd. Nr. 11.3, Anhang (zu Nr. 11 der Anlage) c) lfd. Nr. 11.3.6 BKatV) nach § 24 (zu ergänzen: Abs. 1) StVG zu einer Geldbuße von 210,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und nach § 25 Abs. 2a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die in der Sache Erfolg hat.
Die auf die Sachrüge hin auch ohne ausdrückliche Geltendmachung vorzunehmende Prüfung, ob Verfahrenshindernisse dem Schuldspruch entgegenstehen, veranlasst die Aufhebung des Urteils, weil die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit verjährt ist.
Der mit Vollendung der Tat am 27. August 2015 einsetzende Lauf der dreimonatigen Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG ist durch die Anordnung der schriftlichen Anhörung des Betroffenen vom 8. September 2015 nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG wirksam unterbrochen und zugleich erneut in Gang gesetzt worden (§ 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Ferner ist mit Erlass des Bußgeldbescheides am 14. Oktober 2015, dessen Ersatzzustellung am 17. Oktober 2015 gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 OWiG, § 7 VwVfG BE, § 3 Abs. 2 VwZG, § 180 ZPO beim Betroffenen bewirkt wurde, die Verjährung erneut unterbrochen und in Gang gesetzt worden (§§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 OWiG). Fortan betrug die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 StVG sechs Monate. Der Verjährungsunterbrechung stand bei der Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides nicht entgegen, dass der Betroffene bereits seit dem 1. April 2015 nicht mehr unter der Zustelladresse wohnhaft war. Eine (Ersatz-)Zustellung ist auch dann wirksam, wenn es sich bei der Zustellanschrift um eine vormals dauerhaft genutzte Wohnung eines Betroffenen handelt und der Betroffene zum Zustellungszeitpunkt eine fortlaufende Beziehung zu der Wohnung beibehält (vgl. Bayerisches ObLG, Beschluss vom 16. März 2004 - 2 ObOWi 7/2004 - = DAR 2004, 281, 282, juris Rn. 11 f.). Letzteres kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass der Zustellungsadressat - wie im vorliegenden Fall - seine vormalige Wohnung weiterhin für das Sammeln der an ihn gerichteten Post nutzt (vgl. Bayerisches ObLG a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 11. September 2014 - III-5 RVs 85/14 -, juris LS 1. und Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl., § 37 Rn. 8; kritisch: Seitz, in: Göhler OWiG 16. Aufl., § 51 Rn. 12a). Denn wie die persönliche Übergabe, soll auch die ersatzweise Zustellung gewährleisten, dass der Adressat sicher und schnell von dem Inhalt des zugestellten Schriftstücks Kenntnis erlangt, damit ihm ermöglich wird, seine rechtlichen Interessen unverzüglich wahrzunehmen. Dies konnte der Betroffene durch eine von ihm organisierte, kontinuierliche und zeitnahe Weiterleitung der eingehenden Post sicherstellen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2010 - 3 Ws (B) 508/10 -). Aus der sich bei der Akte befindlichen Melderegisterauskunft ist ersichtlich, dass der Betroffene im Zeitraum von Ende September 2004 bis Ende März 2015 unter der Zustellungsanschrift dauerhaft seine Wohnanschrift angemeldet hatte. Nach dem Vorbringen des Betroffenen, der sich den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung seiner Ehefrau ersichtlich zu eigen gemacht hat, unterhielt der Betroffene zum Zeitpunkt der Ersatzzustellung bei der Zustellanschrift weiterhin einen Briefkasten und ließ die dort eingehende Post in regelmäßigen wöchentlichen Abstand von seiner Ehefrau abholen und zu sich bringen.
Durch die erfolgte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch den Polizeipräsidenten in Berlin wegen Versäumung der Einspruchsfrist am 5. Februar 2016 begann die Verjährungsfrist von sechs Monaten erneut zu laufen und endete mit Ablauf des 5. August 2016. Bei der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, durch die die Rechtskraft eines Bußgeldbescheids beseitigt wird, beginnt die Verfolgungsverjährung erneut (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. Januar 1978 - 1 Ws (B) 36/78 OWiG - = MDR 1978, 513 - = juris LS 1.; OLG Hamm Beschluss vom 23. Mai 1972 - 5 Ss OWi 363/72 - = BeckRS 9998, 108350, beck-online; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Januar 1995 - 1 Ss (B) 254/94 - = VRS 88, 456-459, juris LS 1.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Januar 1986 - 1 Ss 40/86 - = VRS 173, 456-457, juris LS 1.; Graf in: Karlsruher Kommentar OWiG...