Leitsatz (amtlich)
1. Zum Verhältnis der gesetzlichen Fiktion einer Zustellungsvollmacht nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu der rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht.
2. Die Feststellung, ob zum Zeitpunkt der Zustellung an den Verteidiger eine ihm rechtsgeschäftlich erteilte Zustellungsvollmacht vorlag, beurteilt sich im Einzelfall nach den Gesamtumständen und dem Auftreten des Rechtsanwaltes im Verfahren.
3. Der Feststellung der Heilung einer fehlerhaft Zustellung nach § 189 ZPO, die den tatsächlichen Zugang voraussetzt, kann der Verteidiger nicht mit dem Hinweis auf eine papierlose Bearbeitung von Bußgeldsachen innerhalb der Kanzlei erfolgreich begegnen.
Normenkette
OWiG § 51 Abs. 3 S. 1; ZPO § 189
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 28.01.2016; Aktenzeichen (323 OWi) 3022 Js-OWi 12292/14 (1301/14)) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. Januar 2016 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen.
Gründe
Der Polizeipräsident hat durch Bußgeldbescheid vom 7. August 2014 gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit (§§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4, Anlage 2 lfd. Nr. 49 (Zeichen 274) StVO, 24 StVG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV, lfd. Nr. 11.3.7) eine Geldbuße in Höhe von 260,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen dagegen gerichteten Einspruch, den er in zulässiger Weise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen am 23. Juli 2015 zu einer Geldbuße in Höhe von 400,-- Euro unter Wegfall des Fahrverbotes verurteilt.
Nach den rechtskräftigen Feststellungen steuerte der Betroffene sein Kraftrad am 12. Juni 2014 um 20.04 Uhr im Bereich der Zufahrt Sch. zur BAB 111, die in diesem Abschnitt nur mit einer Maximalgeschwindigkeit von 30 km/h befahren werden durfte. Diese Geschwindigkeitsbeschränkung übersah er infolge von Unachtsamkeit. Mittels des Geschwindigkeitsmessgerätes Riegl FG21-P wurde seine Geschwindigkeit abzüglich der Toleranz von 3 km/h mit 71 km/h festgestellt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung betrug 41 km/h.
Gegen dieses Urteil hat die Amtsanwaltschaft die von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Rechtsbeschwerde eingelegt, die mit der Sachrüge wegen des fehlerhaften Absehens von der Anordnung eines Fahrverbotes Erfolg hatte. Mit Beschluss vom 2. Oktober 2015 hat der Senat die Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen. Mit Urteil vom 28. Januar 2016 hat das Amtsgericht auf eine Geldbuße von 200 Euro erkannt, ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs.2a StVG getroffen.
Die hiergegen, auf eine Verfahrensrüge und sachlich-rechtlichen Beanstandungen gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt ohne Erfolg.
1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet er die Verletzung des §§ 71 Abs. 1 OWiG, 244 StPO.
Er rügt, dass der Tatrichter den Beweisantrag auf Vernehmung der Messbeamten zum Beweis der Tatsache, dass die Verkehrsdichte am Messtag überdurchschnittlich gering war, rechtsfehlerhaft abgelehnt habe. Die Beweisaufnahme hätte ergeben, dass "die Verkehrsdichte überdurchschnittlich gering gewesen wäre und die Überschreitung daher in Abweichung vom Regelfall weniger dritt- und allgemein gefährdend als in allen Fällen war."
Die Aufklärungsrüge ist jedenfalls unbegründet. Das Amtsgericht hat unter Hinweis auf § 77 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 OWiG und Angabe des Gesetzestextes den Antrag abgelehnt und in den Urteilsgründen des Weiteren ausgeführt, dass das rechtkräftig festgestellte Handeln des Betroffenen, die BAB-Auffahrt mit einem die zulässige Geschwindigkeit erheblich überschrittenen Tempo gefahrenen zu sein, für andere Verkehrsteilnehmer abstrakt war gefährlich. Anhaltspunkte für den Ausschluss der abstrakten Gefahr sind nicht gegeben. Das Amtsgericht hat erkennen lassen, dass die zusätzliche Beweiserhebung, die nach Auffassung der Verteidigung auf die Feststellung einer geringen Verkehrsdichte abzielte, jedenfalls nicht zum Ausschluss der abstrakten Gefährlichkeit des Verhaltens des Betroffenen geführt und daher an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte. Denn allein eine geringe Verkehrsdichte ist - nach Auffassung des Amtsgerichts - kein ausreichender Anhaltspunkt vom Regelfall der Anordnung des Fahrverbotes abzuweichen. Dies bewegt sich innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Ermessens und ist vom Rechtsbeschwerdegericht nicht zu beanstanden.
2. Auch die Sachrüge bleibt der Erfolg versagt.
Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers liegt keine - ein Verfahrenshindernis begründende - Verjährung vor.
Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt. Die Prüfung erfolgt im Freibeweisverfahren mit allen verfügbaren und zulässigen Erkenntnisquellen (BGHSt 16, 164, 166). Zutreffend weist der ...