Leitsatz (amtlich)

Es stellt in einem Bußgeldurteil auch dann keinen sachlich-rechtlichen Fehler dar, wenn die Überzeugung des Tatrichters auf den Bekundungen eines für „neutral, zuverlässig und glaubwürdig“ gehaltenen polizeilichen Zeugen beruht, im Urteil aber offen bleibt, ob sich der Zeuge an den Vorfall positiv erinnern konnte oder sein Zeugenbericht auf eigenen Notizen beruhte, die den Betroffenen aussagekräftig belasten.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 21.01.2020; Aktenzeichen 303 OWi 1136/19)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. Januar 2020 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO verworfen.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 28. April 2020 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.

1. Die Verteidigung verkennt, dass Gegenstand der auf die Sachrüge veranlassten Sachprüfung ausschließlich die Urteilsurkunde ist, nicht aber das Hauptverhandlungsprotokoll und schon gar nicht hierzu als Anlagen genommene Fotos (Bl. 50 ff). Eine Ausnahme gilt hier für ein Lichtbild ("Bl. 49"), auf das die Urteilsgründe (UA S. 3) ausdrücklich verweisen (§ 71 OWiG i. V. m § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO).

2. Die Rechtsbeschwerde überspannt die Anforderungen an ein Bußgeldurteil, wenn sie detaillierte Ausführungen nicht nur zum Inhalt einer belastenden Zeugenaussage verlangt, sondern auch zum Inhalt von Aufschrieben, die der Zeuge als Erinnerungsstütze erstellt hat.

3. Indem die Rechtsbeschwerde anzweifelt, die polizeilichen Zeugen hätten in einem Kastenwagen Mercedes Vito einen "erhöhten Sitz" (und damit gute Sicht) gehabt, beanstandet sie unstatthaft die Beweiswürdigung des Tatgerichts. Das Amtsgericht hat einem Zeugen diese Bekundung geglaubt bzw. diese Wertung übernommen. Der Verteidigung hätte es freigestanden, den Umstand in der Hauptverhandlung in Frage und gegebenenfalls einen Beweisantrag zu stellen. Die sich aus freier richterlicher Beweiswürdigung ergebende Bewertung ist der Überprüfung durch die Rechtsbeschwerde jedoch entzogen.

4. Entsprechendes gilt für die Überzeugung des Gerichts, die verwendete Stoppuhr sei geeicht gewesen. Mit ihrer Vermutung, der verlesene Eichschein könnte einer anderen Uhr zuzurechnen sein, beanstandet die Rechtsbeschwerde die allein dem Amtsgericht obliegende Beweiswürdigung. Rechtsfehlerhaft - also zB gegen Denkgesetze verstoßend - ist diese offensichtlich nicht.

5. Die von der Verteidigung konstruierten "Widersprüche" finden keine Stütze im Urteil.

6. Zuzugeben ist der Rechtsbeschwerde, dass sich das Urteil nicht recht entscheidet, ob es von einer positiven Erinnerung der Zeugen an den Vorfall ausgeht oder ob die Zeugen den Sachverhalt durch die Schilderung ihres üblichen Vorgehens unter Rückgriff auf Aufzeichnungen rekonstruiert haben. Die Generalstaatsanwaltschaft geht von ersterem, der Senat eher von letzterem aus. Dass sich ein Zeuge "an den Einsatz unter Zuhilfenahme seiner persönlichen Unterlagen noch gut erinnern" konnte (UA S. 4), dürfte gerade bei einer "mindestens zweimal pro Monat" (UA S. 4) vorkommenden Verkehrsüberwachung auf routinierte Abläufe hindeuten, bei denen eine konkrete Erinnerung an eine bestimmte Übertretung eher die Ausnahme darstellt. Wenn auch eine diesbezügliche Klarstellung die Beweiswürdigung greifbarer machen würde, stellt ihr Fehlen keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar. Denn aus dem Urteil ergibt sich deutlich, wie die Zeugen, die das Gericht zudem für neutral, zuverlässig und glaubwürdig hielt, den Verkehr überwacht haben und dass sie den Betroffenen aussagekräftig belastende Notizen gemacht haben. Allein dies reicht zum Tatnachweis aus.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13980176

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