Leitsatz (amtlich)
1. Allein der Umstand, dass sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung gegen die in erster Instanz getroffene Rechtsfolgenentscheidung wendet und die Festsetzung einer schärferen Sanktion erstrebt, führt nicht zur Notwendigkeit der Verteidigung.
2. Es erscheint zweifelhaft, ob die Voraussetzungen einer unmittelbaren Wirkung des Art. 4 der Richtlinie (EU) 2016/1990 – mit Ausnahme der Fälle des Art. 4 Abs. 4 Satz 2 – vorliegen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 17.05.2019; Aktenzeichen (513) 255 Js 515/18 Ns (19/19)) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer 13 des Landgerichts Berlin vom 17. Mai 2019 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten - Jugendrichter - hat den umfassend geständigen Angeklagten am 13. Februar 2019 des Diebstahls (gemäß § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB) in zwei Fällen schuldig gesprochen, ihn verwarnt und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je zehn Euro vorbehalten. Die Bewährungszeit hat es auf zwei Jahre festgesetzt. Nach den Feststellungen entwendete der Angeklagte gemeinsam mit dem zur Tatzeit noch heranwachsenden Mitangeklagten A. in der Nacht des 13./14. Juni 2018 zwei Fahrräder (im Wert von etwa 150 bzw. 200 Euro), indem sie mittels eines zuvor aus dem Keller des Angeklagten geholten Bolzenschneiders das Glieder- bzw. Kabelschloss des jeweiligen Fahrrades durchtrennten. Der Angeklagte und sein Mittäter wollten, da sie unter Geldnot litten, die Fahrräder durch einen Verkauf zu Geld machen. Weil sie kurz nach den Taten von einer Polizeistreife gestellt wurden, konnten die Fahrräder den Geschädigten zurückgegeben werden, sodass diesen nur der durch die Zerstörung der Schlösser eingetretene Schaden in Höhe von etwa zwölf bzw. fünf Euro entstand.
Die Staatsanwaltschaft Berlin, die in der Hauptverhandlung erster Instanz die Festsetzung von Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von jeweils drei Monaten und als Gesamtstrafe eine bedingte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten beantragt hatte, wendet sich mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil. Sie verfolgt weiterhin das Ziel der Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe. Die Berufungshauptverhandlung ist noch nicht anberaumt.
Den mit der Schwierigkeit der Rechtslage begründeten Antrag des Angeklagten vom 26. April 2019, ihm Rechtsanwalt M. als Verteidiger beizuordnen, hat die Vorsitzende der Berufungskammer durch den angefochtenen Beschluss vom 17. Mai 2019 abgelehnt. Zur Begründung hat sie angeführt, dass die Straferwartung unter einem Jahr Freiheitsstrafe liege; es sei auch "nicht ersichtlich, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen könnte".
Mit seiner hiergegen erhobenen Beschwerde vom 22. Mai 2019 macht der Angeklagte nunmehr auch geltend, dass infolge des Inkrafttretens der Richtlinie (EU) 2016/1919 "spätestens mit dem 25.05.2019 (...) eine Beiordnung zwingend zu erfolgen" habe, wobei der Verteidiger ausweislich seiner knappen Ausführungen ersichtlich annimmt, dass die Richtlinie unmittelbare Rechtswirkung entfalte und "somit einen unmittelbaren Anspruch auf Beiordnung eines vom Mitgliedsstaat finanzierten Verteidigers bereits im Ermittlungsverfahren (schaffe), jedenfalls wenn und soweit ein Tatvorwurf eröffnet wird".
Die Kammervorsitzende hat der Beschwerde unter dem 31. Mai 2019 nicht abgeholfen. Die Sache ist mit einer Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 25. Juni 2019 am 26. Juni 2019 beim Kammergericht eingegangen.
Das Rechtsmittel des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zwar nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig und insbesondere nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, da die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers Rechtswirkungen entfaltet, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen (vgl. OLG Hamburg StraFo 2000, 383; OLG Brandenburg OLG-NL 2003, 261; Senat, Beschluss vom 22. August 2016 - 4 Ws 121/16 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 141 Rn. 10a).
2. Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet.
a) Die Voraussetzungen des hier in Betracht kommenden § 140 Abs. 2 StPO sind nicht gegeben.
Allein der Umstand, dass sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung gegen die vom Jugendrichter getroffene Rechtsfolgenentscheidung wendet und, wie schon in der Hauptverhandlung erster Instanz, die Festsetzung einer schärferen Sanktion - hier die Verhängung von Freiheitsstrafe anstelle einer Verwarnung mit Strafvorbehalt - erstrebt, führt nicht zur Notwendigkeit der Verteidigung.
Der Senat folgt nicht der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte, wonach unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage bereits und stets dann ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, wenn die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung die Verhängung einer Freiheitsstrafe anstelle einer Geldstrafe erstrebt (so OLG Naumburg StV 2017,...