Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafprozessrecht: Umfang der Pflichtverteidigerbestellung, Adhäsionsverfahren. Rechtsanwaltsvergütung: Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV-RVG

 

Leitsatz (amtlich)

›1. a) Die Bestellung als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 1 StPO gilt für das gesamte Strafverfahren und umfasst damit auch die im Adhäsionsverfahren erforderlichen Tätigkeiten.‹

b) Die schriftsätzliche Abwehr eines vom Verletzten gestellten Adhäsionsantrags löst dabei die Gebühr der Nr. 4143 VV-RVG i.Verb.m. § 49 RVG aus.

›2. Es obliegt grundsätzlich der Staatskasse nachzuweisen, welche Auslagen im konkreten Einzelfall für die sachgerechte Interessenwahrnehmung nicht geboten waren. Die Überprüfung muss der Rechtsanwalt entweder durch Übersendung der gefertigten Ablichtungen oder die anwaltliche Versicherung, eine bestimmte, konkret nach den jeweils abgelichteten Seiten der Akten bezeichnete Anzahl von Ablichtungen gefertigt zu haben, ermöglichen.‹

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Beschluss vom 16.12.2005)

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin ist dem Beschuldigten am 20. Dezember 2004 zur Pflichtverteidigerin bestellt worden. Im Termin zur Hauptverhandlung am 22. Dezember 2004 hat sie, nachdem der Prozessvertreter der Nebenkläger im Adhäsionsverfahren u.a. einen Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,00 EUR für jeden der beiden Nebenkläger gestellt hatte, beantragt, dem Beschuldigten unter ihrer Beiordnung Prozesskostenhilfe zu gewähren sowie den Adhäsionsantrag zurückzuweisen. Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt und von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Unter dem 14. Juli 2005 hat die Pflichtverteidigerin unter Angabe eines Streitwertes von 10.000,00 EUR die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG in Höhe von 972,00 EUR sowie der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 EUR, jeweils zuzüglich Umsatzsteuer, beantragt. Mit Antrag vom 10. August 2005 hat sie für das Revisionsverfahren die Festsetzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4131 VV RVG und die Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG sowie die Erstattung der Auslagen für insgesamt 752 Seiten Ablichtungen, davon 678 Seiten "Aktenauszug für Mandanten", nach Nr. 7000 VV RVG in Höhe von insgesamt 672,80 EUR, jeweils zuzüglich Umsatzsteuer, begehrt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch Beschluss vom 13. September 2005 für das Adhäsionsverfahren die Verfahrensgebühr auf 484,00 EUR festgesetzt und die Pauschale nach Nr. 7000 VV RVG abgesetzt. Zugleich hat sie die Auslagen für die Herstellung des Aktenauszuges abgesetzt, weil dieser zur sachgemäßen Bearbeitung der Sache nicht erforderlich gewesen sei. Die sonstigen geltend gemachten Gebühren und Auslagen hat sie antragsgemäß festgesetzt.

Das Landgericht (Einzelrichter) hat durch den angefochtenen Beschluss die allein gegen die Festsetzung der Verfahrensgebühr im Adhäsionsverfahren und die Absetzung der Auslagen für den Aktenauszug gerichtete Erinnerung der Pflichtverteidigerin als unbegründet verworfen. Die nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

II.

1. Die Pflichtverteidigerin hat keinen Anspruch auf die Festsetzung der Verfahrensgebühr in der von ihr nach Nr. 4143 VV RVG in Verbindung mit § 13 RVG begehrten Höhe. Denn sie ist nach Aktenlage im Adhäsionsverfahren nicht als Wahlanwalt des Beschuldigten tätig geworden. Für eine gesonderte Mandatierung betreffend dieses Verfahren hat die Beschwerdeführerin nichts vorgetragen. Ein Anspruch auf die Vergütung als Wahlanwalt kann sich deshalb, anders als die Verteidigerin vorträgt, auch nicht daraus ergeben, dass das Landgericht es abgelehnt hat, sie dem Beschuldigten unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe beizuordnen (§ 404 Abs. 5 Satz 1 und 2 StPO in Verbindung mit den §§ 114 ff ZPO).

Der Beschwerdeführerin steht für ihre Tätigkeit im Adhäsionsverfahren allein eine Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG in Verbindung mit § 49 RVG zu. Denn sie ist als gerichtlich bestellter Rechtsanwalt im Sinne dieser Vorschrift tätig geworden, weil sie dem Beschuldigten zuvor als Pflichtverteidigerin bestellt worden war. Einer gesonderten hier abgelehnten - Beiordnung nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO bedurfte es zur Begründung dieses Gebührenanspruches nicht. Die Bestellung als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 1 StPO wie hier - gilt für das gesamte Strafverfahren und umfasst damit auch die im Adhäsionsverfahren erforderlichen Tätigkeiten (h.M., vgl. etwa Hanseatisches OLG Hamburg wistra 2006, 37 [39]; OLG Köln, StraFo 2005, 394; Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO 5. Aufl., § 140 Rdnr. 4; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 140 Rdnr. 5; Podlech-Trappmann in Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG, S. 657; Burhoff, RVG, Nr. 4143 VV Rdnr. 9; Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG 17. Aufl., Nr. 4143 VV Rdnr. 3; Hartung, in Hartung/Römermann/Schons, RVG 2. Aufl., Nrn. 4143, 4144 VV Rdnr. 5; Schmahl in Riedel/Sußbauer, RVG 9. Aufl., VV Teil 4 Abschnitt 1 Rdnr. 131; jewe...

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