Leitsatz (amtlich)

1. Der Ausnahmetatbestand in Art. 1 Abs. 2 EGVVG betrifft nur die Abwicklung eines Versicherungsfalls aus dem Jahre 2008. Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Anzeige des Versicherungsfalls des Versicherungsnehmers und der nachfolgenden vertragsbeendenden Erklärung des Versicherers wegen der bei der Prüfung seiner Eintrittspflicht "entdeckten" vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers im Jahr 2009 stellt keinen hinreichenden Grund dar, von Art. 1 Abs. 1 EGVVG abzuweichen, wonach auf Altverträge ab dem 1.1.2009 das neue VVG anzuwenden ist.

2. Auf die im Jahre 2009 zugegangene vertragsbeendende Erklärung des Versicherers sind deshalb auch dann hinsichtlich der Rechtsfolgen die Bestimmungen in § 19 VVG n.F. anzuwenden, wenn der behauptete Versicherungsfall im Jahr 2008 eingetreten ist.

3. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die Verletzung der Anzeigepflicht auf einen Umstand bezieht, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist (Art. 21 VVG a.F.; Art. 21 Abs. 2 VVG n.F.).

 

Normenkette

EGVVG Art. 1 Abs. 1-2; VVG a.F. § 16; VVG n.F. § 19

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 30.08.2011; Aktenzeichen 7 O 474/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Berlin vom 30.8.2011 geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen; ein Rechtsmittel gegen das Urteil ist, weil die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist, unzweifelhaft nicht zulässig,.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das am 30.8.2011 verkündete Urteil des LG Berlin ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 517, 519 ZPO) und begründet (§ 520 ZPO) worden.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Änderung des angefochtenen Urteils. Die Klage auf Feststellung des Fortbestandes der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ist abzu-weisen, denn der Versicherungsvertrag ist jedenfalls aufgrund des seitens der Beklagten im Schreiben vom 2.6.2009 erklärten Rücktritts jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft beendet worden (§§ 16 Abs. 2 VVG a.F., 19 Abs. 2 VVG n.F.). Auf die Frage, ob das Schreiben der Beklagten vom 2.6.2009 den Vertrag über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung rückwirkend beendet hat, weil auch die zugleich erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 Abs. 1 BGB durchgreift, kommt es für die zuletzt allein noch begehrte Feststellung des Fortbestandes des Versicherungsverhältnisses entscheidungserheblich nicht mehr an.

Der Rücktritt der Beklagten ist mit Schreiben vom 2.6.2009 formell wirksam erklärt worden. Dass dem Schreiben kein Vollmachtsnachweis zugunsten der die Erklärung unterzeichnenden Personen beilag, kann der Kläger im hiesigen Rechtsstreit nicht mehr geltend machen, nachdem er es unterlassen hatte, die Erklärung unter Bestreiten der Bevollmächtigung gem. § 174 BGB unverzüglich, mithin zeitnah zum Zugang des Schreibens am 5.6.2009 zurückzuweisen.

Die am 5.6.2009 zugegangene Rücktrittserklärung wahrt zudem die gesetzliche Rücktrittsfrist, ohne dass es in diesem Zusammenhang entscheidungserheblich darauf ankäme, ob sich die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung ab dem 1.1.2009 gem. Art. 1 Abs. 1 EGVVG grundsätzlich nach den Regelungen des zum 1.1.2008 in Kraft getretenen neuen VVG oder - wegen des vom Kläger für Oktober 2008 behaupteten Eintritts des Versicherungsfalls - gem. Art. 1 Abs. 2 EGVVG noch nach den Regeln des alten VVG richten. Denn sowohl nach § 21 Abs. 1 VVG n.F. als auch nach § 20 Abs. 1 VVG a.F. beträgt die Rücktrittsfrist einen Monat, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem der Versicherer Kenntnis von der Anzeigepflichtverletzung erlangt hat. Vorliegend begann die Frist frühestens am 5.5.2009 mit der Kenntnisnahme der Beklagten von dem Inhalt des Auszuges aus der Krankenkartei der Frau Dr. ...(Anlage B 11), dessen Druckdatum mit dem 4.5.2009 angegeben ist.

Der Beklagten stand auch ein Rücktrittsrecht zu, denn der Kläger hat durch die Nichtangabe der Behandlungs- und Beratungstermine bei Frau Dr. ...aus dem Zeitraum September 2001 bis Juli 2006 im Rahmen des Versicherungsantrages schuldhaft vorvertragliche Anzeigepflichten nach § 16 Abs. 1 VVG a.F. verletzt.

Maßgeblich für die tatbestandliche Verwirklichung einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung und damit für das Vorliegen eines Rücktrittsgrundes ist im Hinblick auf das Datum des Versicherungsantrages allein der Tatbestand des § 16 VVG a.F., denn nur dessen Vorgaben konnten die Parteien am 1.8.2006 beachten (vgl. hierzu die amtliche Begründung in BT-Drucks. 16/3945, 117/118). Deshalb kann der Kläger auch nicht geltend machen, der Rücktritt der Beklagten sei gem. § 19 Abs. 5 VVG n.F. ausgeschlossen, weil er in dem...

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