Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung bei einem Betäubungsmittelstraftäter wegen einer neuen Straftat
Leitsatz (redaktionell)
1. In Fällen, in denen ein Verurteilter während des Laufs der Behandlung erhebliche Straftaten begeht und deshalb in Untersuchungshaft genommen wird sowie ein Abbruch der Therapie vorliegt kann die Zurückstellung gemäß § 35 Abs. 5 Satz 1 BtMG widerrufen werden
2. Dabei ist aber die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) zu beachten. Da noch keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist und damit der Widerrufsgrund des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG nicht vorliegt, sind die für den Widerruf einer Bewährung (§ 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB) entwickelten Grundsätze heranzuziehen.
3. Danach muß das Gericht vom Vorliegen der neuen Straftat fest überzeugt sein, wozu es im allgemeinen ausreicht, wenn aufgrund eines Geständnisses keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, daß sich der Verurteilte erneut strafbar gemacht hat. Es genügt allerdings nicht, wenn sich das Gericht lediglich auf die im Haftbefehl angegebenen Tatvorwürfe stützt, ohne selbst die Verfahrensakte ausgewertet zu haben.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 07.09.2001; Aktenzeichen (525) 2 Op Js 38/99 KLs 22 VRs (20/99)) |
Gründe
Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 12. Juli 1999 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Kokain, Amphetamin und Haschisch) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Durch Verfügung vom 7. Juli 2000 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin mit Zustimmung des Landgerichts die Vollstreckung des Strafrestes von einem Jahr und drei Monaten gem. § 35 Abs. 1, 3 Nr. 2 BtMG mit Wirkung vom 10. Juli 2000 zurück, damit sich der Verurteilte zur Behandlung seiner Sucht in das "Drogentherapie - Zentrum B. e.V." begeben konnte. Dort hielt er sich bis zum 14. Juli 2000 auf und wechselte anschließend mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts ab dem 21. Juli 2000 in die ambulante Psychotherapie dieser Einrichtung. In der Zeit vom 21. Juli 2000 bis zum 8. Dezember 2000 nahm er an der Therapie teil. Am 11. Dezember 2000 wurde der Beschwerdeführer vorläufig festgenommen. Im Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom selben Tag wird ihm zur Last gelegt, im Dezember 2000 mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und zugleich Betäubungsmittel nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt zu haben. Es besteht ein weiterer Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. August 2001, in dem ihm 59 gleichartige Taten in der Zeit von 1998 bis zum 11. Dezember 2000 sowie ein Vergehen gegen das Waffengesetz zu Last gelegt werden. Mit Verfügung vom 29. Mai 2001 widerrief die Staatsanwaltschaft Berlin die Zurückstellung des Strafrestes, weil der Verurteilte die Behandlung nicht fortgeführt habe. Hiergegen trug der Beschwerdeführer auf gerichtliche Entscheidung an. Das Landgericht Berlin hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluß vom 7. September 2001 verworfen.
Die nach §§ 35 Abs. 7 Satz 4 BtMG, 462 Abs. 3 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat allerdings zutreffend ausgeführt, daß in Fällen, in denen ein Verurteilter während des Laufs der Behandlung erhebliche Straftaten begeht und deshalb in Untersuchungshaft genommen wird, ein Abbruch der Therapie vorliegt und deshalb die Zurückstellung gemäß § 35 Abs. 5 Satz 1 BtMG zu widerrufen ist (vgl. Körner, BtMG 5. Aufl., § 35 Rdn. 257). In diesem Zusammenhang ist aber die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) zu beachten. Da noch keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist und damit der Widerrufsgrund des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG nicht vorliegt, sind die für den Widerruf einer Bewährung (§ 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB) entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Danach muß das Gericht vom Vorliegen der neuen Straftat fest überzeugt sein (vgl. KG, Beschluß vom 3. Mai 1999 - 5 Ws 220/99 -; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 56 f Rdn. 3b). Im allgemeinen reicht es aus, wenn aufgrund eines Geständnisses keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, daß sich der Verurteilte erneut strafbar gemacht hat (vgl. KG StV 1988, 26). Ob auch andere hinreichend objektivierbare Tatsachen die gerichtliche Überzeugung begründen können (vgl. Gribbohm in LK, StGB 11. Aufl. § 56 f Rdn. 9, 10), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da jedenfalls das von dem Landgericht angewendete Verfahren den für die gerichtliche Überzeugungsbildung geltenden Maßstäben nicht genügt.
Die Strafkammer bildete ihre Überzeugung allein aufgrund der in den Haftbefehlen des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Dezember 2000 und 1. August 2001 angegebenen Beweismittel, ohne daß sie die Strafakten ausgewertet hätte. Das reicht aber nicht aus, weil das Gericht die für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen selbst festzustellen hat (vgl. KG, Beschluß vom 3. Mai 1999 - 5 Ws 220/99 -). Das Landgericht hätte vorliegend auch schon ...