Leitsatz (amtlich)
In einem – abweichend vom Erkenntnisverfahren – nicht kontradiktorisch ausgestalteten Verfahren wie dem Nachverfahren gemäß § 33a StPO besteht in weitaus geringerem Maße ein Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Betroffenen, weshalb die Merkmale des entsprechend anzuwendenden § 140 Abs. 2 StPO einschränkend und unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen sind.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 04.09.2020; Aktenzeichen 593 StVK 301/19) |
Tenor
1. Der Antrag der Verurteilten, ihr Rechtanwalt J. als Pflichtverteidiger beizuordnen, wird zurückgewiesen.
2. Die Anhörungsrüge der Verurteilten gegen den Beschluss des Senats vom 4. September 2020 wird als unzulässig verworfen.
3. Die Rügeführerin hat die Kosten ihrer Anhörungsrüge zu tragen.
Gründe
I.
Der Senat hat mit Beschluss vom 4. September 2020 die sofortige und einfache Beschwerde der Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 7. November 2019 verworfen. Mit dem angefochtenen Beschluss hatte die Strafvollstreckungskammer den Eintritt der Führungsaufsicht nach Vollverbüßung einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. November 2017 - 264 Ls 15/17 - festgestellt, deren Dauer auf zwei Jahre verkürzt, die Verurteilte der Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellt und ihr eine Meldeweisung hinsichtlich zukünftiger Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel erteilt. Die Verurteilte meinte hingegen, dass das der Strafvollstreckung zugrundeliegende Urteil nie in Rechtskraft erwachsen sei und Führungsaufsicht daher nicht habe eintreten können.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. September 2020 rügt die Verurteilte die Verletzung rechtlichen Gehörs und beantragt "den vorgenannten Beschluss des Senats aufzuheben und das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurückzuversetzen, wie es vor dem Erlass des Beschlusses vom 4. September 2020 [...] bestand". Weiterhin beantragt sie die Beiordnung ihres Wahlverteidigers Rechtsanwalt J. Zur Begründung ihrer Anhörungsrüge macht die Verurteilte geltend, dass der Senat hinsichtlich der Behandlung des von ihr im Ausgangsverfahren eingelegten Rechtsmittels die Sach-, Verfahrens- und Rechtslage nicht erfasst habe. Das der Strafvollstreckung zugrundeliegende Urteil sei bis heute nicht rechtskräftig geworden. Die Staatsanwaltschaft habe ihre Berufung im Ergebnis am 27. Dezember 2017 zurückgenommen. Die Revision der Verurteilten sei dessen ungeachtet aber weiterhin fehlerhaft als Berufung behandelt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat auf den vorgenannten Schriftsatz.
II.
1. Der Antrag der Verurteilten, ihr Rechtsanwalt J. zum Pflichtverteidiger zu bestellen, war zurückzuweisen. Eine Beiordnung kommt weder in Bezug auf das abgeschlossene Beschwerdeverfahren (a) noch hinsichtlich des angestrengten Nachverfahrens (b) in Betracht.
a) Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug - hier sogar darüber hinaus rechtskräftig - abgeschlossene Verfahren ist ungeachtet der sonstigen Beiordnungsvoraussetzungen schlechthin unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger, den die Betroffene als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung beantragt hatte (std. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2009 - 1 StR 344/08 - juris Rn. 4; Senat, Beschluss vom 9. März 2006 - 1 AR 1407/05 - 5 Ws 563/05 - juris Rn. 11 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1975 - 2 BvR 207/75 - juris Rn. 15, BVerfGE 39, 238, 242; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. September 1983 - 1 Ws 757/83 - juris; Senat, Beschluss vom 9. März 2005, a.a.O., Rn. 10). Diese Interessenlage ist nach Erlass der Entscheidung des Senats vom 4. September 2020 entfallen, denn damit war das Verfahren endgültig abgeschlossen. Daran vermag auch die nunmehr unzulässig (siehe dazu sogleich unter 2.) erhobene Anhörungsrüge nichts zu ändern.
b) Auch hinsichtlich der Anhörungsrüge liegt kein Fall der notwendigen Verteidigung vor.
aa) Die im Erkenntnisverfahren erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 StPO endet regelmäßig mit der Rechtskraft des Urteils. Eine damit korrespondierende Generalklausel, welche für ein Nachverfahren gemäß § 33a StPO die Bestellung eines Verteidigers vorsieht, besteht dagegen nicht. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, außerhalb des Erkenntnisverfahrens für wenige Einzelfälle die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzuschreiben (vgl. KG, Beschluss vom 15. April 2019 - 2 Ws 71/19). Jenseits dessen ist § 140 Abs. 2 StPO in verfassungskonfo...