Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafprozessrecht: Haftentscheidung während laufender Hauptverhandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Begründung einer Haftentscheidung während der laufenden Hauptverhandlung verlangt, daß sich das erkennende Gericht mit den bisher gewonnenen Beweisergebnissen auseinandersetzt und darlegt, warum diese nach seiner gegenwärtigen Überzeugung die Annahme eines dringenden Tatverdachtes oder eines Haftgrundes nicht mehr rechtfertigen.
2. Dabei ist eine Entscheidung des aufgrund der Hauptverhandlung mit der Sache besonders eingehend befaßten Gerichts nicht zu beanstanden, wenn sie auf einer vertretbaren Wertung der für und gegen einen dringenden Tatverdacht oder das Vorliegen eines Haftgrundes sprechenden Umstände beruht und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß wesentliche tatsächliche Umstände nicht berücksichtigt oder verkannt worden sind.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 15.12.2000; Aktenzeichen (506) 68 Js 266/98 (15/00)) |
Gründe
Die Strafkammer verhandelt seit dem 10. Oktober 2000 gegen den Angeklagten auf der Grundlage der Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 18. Mai 2000, mit der dem Angeklagten Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Kokain), das gleiche Delikt in bandenmäßiger Begehung bezüglich einer nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln (Kokain), Beihilfe zu einem Vergehen nach dem Ausländergesetz, sexuelle Nötigung, falsche Verdächtigung und Förderung der Prostitution in vier Fällen zur Last gelegt werden.
Der Angeklagte befand sich in dieser Sache vom 24. November 1999 bis 21. Dezember 1999 (Haftverschonung) und vom 2. Februar 2000 bis 15. Dezember 2000 in Untersuchungshaft. Sie beruhte zuletzt auf dem Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin - 353 Gs 5231/99 - vom 7. Dezember 1999, der nach Erweiterung durch die Beschlüsse des Landgerichts Berlin - 506-15/00 vom 14. Juni 2000 (Erweiterung auf alle Anklagevorwürfe) und 18. August 2000 (Bejahung der Verdunkelungsgefahr) die Anklagevorwürfe umfaßt und mit Flucht- und Verdunkelungsgefahr begründet ist. Am 15. Dezember 2000 (10. Verhandlungstag), als die Zeugin R. (mutmaßlich Geschädigte der sexuelle Nötigung) noch nicht vernommen war, hat die Kammer den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt (§ 116 StPO). Sie hat dem Angeklagten die Weisung erteilt, jede Kontaktaufnahme zu den noch als Zeugen zu hörenden Personen - selbst oder durch von ihm beauftragte Dritte - zu unterlassen.
Zur Begründung hat die Kammer sinngemäß ausgeführt, nach dem bisherigen - vorläufigen - Ergebnis der noch nicht vollständig durchgeführten Beweisaufnahme bestehe dringender Tatverdacht bezüglich der Anklagevorwürfe mit der Einschränkung, daß die bandenmäßige Begehungsweise des Handels mit Betäubungsmitteln nicht erwiesen werden dürfte. Trotz der Versuche der Zeugin R., sich ihrer Vernehmung zu entziehen, bestehe dringender Tatverdacht auch bezüglich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung. Wegen der schwierigen Erreichbarkeit der Zeugin T. sei nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft beabsichtigt, die Beweisaufnahme nicht auf diesen Tatvorwurf (entgeltliche Hilfe zur illegalen Einreise) zu erstrecken.
Fluchtgefahr hat die Kammer verneint, "da angesichts der in Betracht kommenden unter Anrechnung der bisher erlittenen Untersuchungshaft bei Selbststellung des Angeklagten zu erwartenden Strafe ein nur noch geringer Strafrest effektiv zu verbüßen wäre". Verdunkelungsgefahr bestehe zwar fort; ihr könne aber durch die erteilte Weisung ausreichend begegnet werden. Den mit der unmittelbar nach Verkündung des Beschlusses eingelegten Beschwerde der Staatsanwaltschaft verbundenen Antrag, dessen Vollziehung auszusetzen (§ 307 Abs. 2 StPO) hat die Kammer zurückgewiesen, und der Beschwerde hat sie nicht abgeholfen.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Der angefochtene Beschluß genügt den Anforderungen nicht, die an eine Haftentscheidung während der laufenden Hauptverhandlung zu stellen sind. Die Begründung solcher Entscheidungen verlangt, daß sich das erkennende Gericht mit den bisher gewonnenen Beweisergebnissen auseinandersetzt und darlegt, warum diese nach seiner gegenwärtigen Überzeugung die Annahme eines dringenden Tatverdachtes oder eines Haftgrundes nicht mehr rechtfertigen. Dabei ist eine Entscheidung des aufgrund der Hauptverhandlung mit der Sache besonders eingehend befaßten Gerichts nicht zu beanstanden, wenn sie auf einer vertretbaren Wertung der für und gegen einen dringenden Tatverdacht oder das Vorliegen eines Haftgrundes sprechenden Umstände beruht und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß wesentliche tatsächliche Umstände nicht berücksichtigt oder verkannt worden sind (vgl. KG, Beschluß vom 14. Dezember 2000 - 4 Ws 234/00 -). Diese Anforderungen ergeben sich daraus, daß die vorläufige Wertung der maßgeblichen Umstände durch das erkennende Gericht anders nicht überprüft werden kann, weil der Senat an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, die Beweisaufnahme nicht wiederholen ...