Leitsatz (amtlich)

Hat der von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens entbundene Betroffene den ihn vertretenden Verteidiger nicht über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die tatsächlichen Umstände seiner "Fahrverbotsempfindlichkeit" unterrichtet und kann der Verteidiger demzufolge hierzu in der Hauptverhandlung keine Angaben machen, so verlangt die Amtsaufklärungspflicht (§ 77 Abs. 1 OWiG) nicht, den Betroffenen in einem weiteren Termin dazu zu hören. Vielmehr hat sich der Betroffene durch die mangelnde Instruierung seines Verteidigers der Möglichkeit begeben, fahrverbotsfeindliche Umstände aus dem persönlichen Bereich geltend zu machen.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 11.12.2017; Aktenzeichen 304 OWi 980/17)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Dezember 2017 wird verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und nach § 25 Abs. 2a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

1. Soweit sich das Rechtsmittel gegen den Schuldspruch wendet, ist es aus den Gründen der dem Betroffenen bekannten Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft unbegründet (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

2. Mit der Beanstandung des Rechtsfolgenausspruchs dringt die Sachrüge im Grundsatz durch. Das Urteil lässt nicht erkennen, dass der Tatrichterin die Möglichkeit bewusst war, dass von der Verhängung des Fahrverbots - bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße - abgesehen werden kann, wenn der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch hierdurch erreicht werden kann (BGH NZV 1992, 117; OLG Köln NZV 2001, 391 mwN; OLG Naumburg zfs 2001, 382; OLG Rostock zfs 2001, 383).

Im Urteil wird die gesamte Rechtsfolgenentscheidung mit einem Satz begründet. Er lautet: "Gegen ihn war die nach dem Bußgeldbescheid vorgesehene Regelgeldbuße von 200 Euro festzusetzen und darüber hinaus das vorgesehene Fahrverbot von einem Monat zu verhängen."

Weder dieser knappe Satz noch andere Ausführungen im Urteil ermöglichen es dem Senat nachzuvollziehen, dass sich die Tatrichterin der (rechtlichen) Möglichkeit einer "Kompensation" bewusst war. Im Gegenteil lässt die gewählte Formulierung besorgen, dass sie, wie die Rechtsbeschwerde nicht ohne Grund meint, von einem "Automatismus" der aufgrund des Bußgeldkatalogs zu verhängenden Rechtsfolgen ausgegangen ist und das ihr durch § 25 StVG eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat.

3. Bei dieser Sachlage wäre im Normalfall der Rechtsfolgenausspruch nebst den dazu gehörigen Feststellungen aufzuheben, und das Amtsgericht müsste erneut entscheiden. An einer so genannten Durchentscheidung (§ 79 Abs. 6 OWiG) ist das Rechtsbeschwerdegericht bei einem auf die Rechtsfolgen bezogenen Darstellungs- und Begründungsmangel in der Regel gehindert.

Der hier zu entscheidende Fall weist insoweit jedoch eine Besonderheit auf, die den Senat ausnahmsweise in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden: Der Betroffene war in der Hauptverhandlung erlaubt abwesend, und er ist durch seinen Verteidiger vertreten worden. Der Verteidiger hat ausweislich der Urteilsgründe keine Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen können, und er hat, so versteht der Senat das Urteil, demzufolge auch nicht im Ansatz darlegen können, dass der Betroffene durch das Fahrverbot mehr als durch die erhöhte Geldbuße belastet wird. Erst recht hat der Verteidiger nicht dargelegt, dass der Betroffene durch das Fahrverbot überhart getroffen wird.

Es versteht sich von selbst, dass ein Betroffener, der sich durch einen Rechtsanwalt nach § 73 Abs. 3 OWiG vertreten lässt, seinen Vertreter über die Umstände zu unterrichten hat, über die er nach § 111 OWiG Auskunft geben muss (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 3 Ws (B) 357/16 -). Tut er dies nicht und versetzt er seinen Vertreter auch nicht in die Lage, über seine persönlichen und sonstigen beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Angaben zu machen, so begibt er sich der Möglichkeit, auf dieser Grundlage zu vom Bußgeldkatalog abweichenden, gegebenenfalls günstigeren Rechtsfolgen zu gelangen. Denn diese Umstände sind aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der BKatV nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung, sondern der Verteidiger, der zugleich Vertreter ist, hat umfassend zu den konkreten Auswirkungen der Nebenfolge und namentlich zu Fahrverbotshärten vorzutragen und sie gegebenenfalls zu belegen (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen 4. Aufl., § 6 Rn. 216); er muss sich darauf proaktiv berufen (vgl. Krumm, aaO., § 22 Rn. 90).

Auf dieser Grundlage geht der Senat davon aus, dass die Tatrichterin in der Hauptverhandlung keine weit...

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