Leitsatz (amtlich)

Der Schaden, den eine Krankenkasse dadurch erleidet, dass ein Mitglied als Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers ihrer früheren Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann, wodurch sich der Krankenkassenbeitrag verringert, ist als mittelbarer Schaden nicht erstattungsfähig. Ein solcher Beitrags(minderungs)schaden des Krankenkassenmitglieds ist nicht zugunsten der Krankenkasse analog § 224 Abs. 2 SGB V (iVm. § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) zu fingieren (Anschluss an OLG Karlsruhe, VersR 2001, 612).

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 20.03.2019; Aktenzeichen 36 O 297/15)

 

Tenor

Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das am 20.03.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 36 O 297/15 - gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen.

 

Gründe

l. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts offensichtlich unbegründet ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die weiteren Voraussetzungen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO erfüllt sind.

Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall. Das Landgericht hat die Klage frei von Rechtsfehlern und ohne Verletzung rechtlichen Gehörs abgewiesen. Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte kein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Mindereinnahmen der Klägerin durch schädigungsbedingt verringerte Beitragszahlungen der Patientin zusteht. Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin in der Berufung ist ergänzend und vertiefend zu den Ausführungen des Landgerichts lediglich Folgendes auszuführen:

Der zivilrechtliche Anspruch auf Schadensersatz umfasst gem. §§ 842, 843, 844 Abs. 2 BGB grundsätzlich auch die mit schadensbedingter Erwerbsunfähigkeit verbundenen Beiträge des Geschädigten, die dieser an Sozialversicherungsträger zu zahlen hat. Dazu gehören bei einem gesetzlich Krankenversicherten nicht nur Beiträge, die er im Rahmen der freiwilligen Versicherung zu erbringen hat, sondern auch solche, die der Arbeitgeber im Rahmen der Entgeltfortzahlung oder der Sozialversicherungsträger infolge der Schädigung an die Krankenversicherung zu zahlen hat. Bezüglich dieser Schäden ordnen § 6 Abs. 1 EFZG bzw. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X einen gesetzlichen Forderungsübergang an den Arbeitgeber bzw. den Sozialversicherungsträger an. Während des Zeitraums, in dem der Verletzte Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, ist er gemäß § 224 Abs. 1 Satz 1 SGB V beitragsfrei versichert, so dass er in vollem Umfang krankenversichert bleibt und ihm dadurch kein Schaden entsteht. Durch § 224 Abs. 2 SGB V wird jedoch angeordnet, dass der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger durch die Beitragsfreiheit nicht ausgeschlossen oder gemindert ist, so dass der Schadensersatzanspruch des Verletzten auf Erstattung der - insoweit fingierten - Beiträge gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf den gesetzlichen Krankenversicherer übergehen kann.

Nicht gesetzlich geregelt ist die Ersatzfähigkeit von Schäden, die der gesetzliche Krankenversicherer dadurch erleidet, dass er infolge der Schädigung des Versicherten wegen dessen eingeschränkter oder ausgeschlossener Erwerbsfähigkeit nur noch verringerte Beiträge von dem Versicherten, seinem Arbeitgeber oder einem anderen Sozialversicherer (Bundesagentur für Arbeit, JobCenter, Sozialhilfe, gesetzliche Rentenversicherung) erhält, obwohl er weiterhin in vollem Umfang die Versicherungsleistungen erbringen muss, weil diese nicht von der Höhe der Beiträge abhängig sind. Eine Ersatzfähigkeit dieser Minderbeiträge ("Beitragsausfallschaden") wird von der Klägerin vorliegend unter Berufung auf zwei Dissertationen (Georg Meyer, Der Anspruch des verletzten Arbeitnehmers auf Ersatz von Sozialversicherungsbeiträgen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und nach dem Rentenreformgesetz 1992, 1993, S. 110 ff. und Hans-Jörg von Einem, Der Beitragsregreß des Sozialversicherungsträgers, 2. Aufl. 1997, S. 155) vertreten. Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur kann der gesetzliche Krankenversicherer dagegen den Beitragsausfallschaden nicht über die gesetzliche Regelung in § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X iVm. § 224 Abs. 2 SGB V hinaus ersetzt verlangen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. November 2000 - 19 U 195/99 -, juris; Kater in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 107. EL Dezember 2019, SGB X, § 116 Rn. 210; Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Auflage 2020, Rn. 626; dem folgend LPK-SGB X/Tilman Breitkreuz, 5. Aufl. 2019, SGB X § 116 Rn. 24; Giesen in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl. 2018, § 116 SGB X, Rn. 46; Jahn...

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