Leitsatz (amtlich)

Der Schaden, den eine Krankenkasse dadurch erleidet, dass ein Mitglied als Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers ihrer früheren Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann, wodurch sich der Krankenkassenbeitrag verringert, ist als mittelbarer Schaden nicht erstattungsfähig. Ein solcher Beitrags(minderungs)schaden des Krankenkassenmitglieds ist nicht zugunsten der Krankenkasse analog § 224 Abs. 2 SGB V (iVm. § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) zu fingieren (Anschluss an OLG Karlsruhe, VersR 2001, 612).

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Urteil vom 20.03.2019; Aktenzeichen 36 O 297/15)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.03.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 36 O 297/15 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für die zweite Instanz wird auf 78.035,53 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht als gesetzliche Krankenversicherung Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht einer bei ihr versicherten Patientin, hilfsweise aus eigenem Recht, wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung der Patientin in dem von der Beklagten betriebenen ... im Dezember 2005 und Januar 2006 geltend.

Die Parteien haben erstinstanzlichen einen Teilvergleich geschlossen, mit dem alle Forderungen aus der streitgegenständlichen Behandlung ausgeglichen sind, mit Ausnahme des von /der Klägerin geforderten Beitragsausfallschadens. Hierzu macht die Klägerin geltend, aufgrund der fehlerhaften Behandlung könne die bei ihr versicherte Patientin ihrer früheren Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen und daher Beiträge zur Krankenversicherung nicht mehr in der Höhe zahlen, wie dies vor der Behandlung erfolgte. Der Klägerin sei daher - soweit die Beiträge nicht in geringerer Höhe durch andere Sozialversicherer getragen werden - ein Schaden in Höhe der Beitragsmindereinnahmen entstanden, der auch zukünftig zu erwarten sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte dazu zu verurteilen, 40.129,01 EUR nebst 5%-Punkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 26.06.2015 an die Klägerin zu bezahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte dazu verpflichtet ist, der Klägerin alle Beitragsausfälle zu ersetzen, die die Klägerin aufgrund der fehlerhaften Behandlung der Zeit vom 21.12.2005 bis zum 04.01.2006 im ... seitdem 01.01.2015 erlitten hat und in Zukunft erleiden wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, hinsichtlich der Beitragsmindereinnahmen fehle es an einem nach § 116 SGB X übergangsfähigen Anspruch. Ein Fall des § 116 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X iVm. § 224 Abs. 1 und 2 SGB V liege nicht vor, denn nach diesem sei ein Betragsausfall der Krankenversicherung nur während des Bezugs von Krankengeld ersatzfähig. Ein Ersatz der Beitragsmindereinnahmen lasse sich auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 224 Abs. 2 SGB V stützen, hierfür fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Klägerin könne auch nicht Ersatz nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation verlangen, weil keine zufällige Schadensverlagerung vorliege.

Die Klägerin hat gegen das Urteil frist- und formgerecht Berufung eingelegt, die sie auch rechtzeitig begründet hat. Mit der Berufung verfolgt sie ihr erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiter.

Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, das Landgericht habe zu Unrecht eine planwidrige Regelungslücke verneint. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe sich, dass mit der Regelung in § 224 Abs. 2 SGB V in Anlehnung an § 62 SGB Vl (bzw. § 61a SGB Vl a.F.) sichergestellt werden sollte, dass Schädiger nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft von ihrer Ersatzpflicht befreit werden. Die gesetzliche Regelung sei lediglich unsorgfältig gewesen, dadurch habe der Gesetzgeber den Ersatz von Beitragsausfällen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf die Zeiten völliger Ausfälle beschränken wollen. Es bestehe teleologisch auch kein Unterschied, ob der gesetzlich Versicherte (in Zeiten des Krankengeldbezugs) betragsfrei oder (wegen eines verringerten Einkommens) beitragsgünstiger versichert sei; die Interessenlage sei insoweit vergleichbar. Soweit eine analoge Anwendung des § 224 Abs. 2 SGB V abgelehnt werde, bestehe jedenfalls ein Anspruch aus dem Behandlungsvertrag, in den die Klägerin nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung einbezogen sei, bzw. nach dem Institut der Drittschadensliquidation.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20.3.2019 zum Aktenzeichen 36 O 297/15 abzuänder...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge