Leitsatz (amtlich)
Zur Beurteilung der Verletzung von Aufklärungsobliegenheiten in der Fahrzeugversicherung nach dem Versicherungsvertragsgesetz in der ab dem 1.1.2008 geltenden Fassung - besonders zum Begriff der Folgenlosigkeit i.S.v. § 28 VVG.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 11.11.2009; Aktenzeichen 41 O 222/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Zivilkammer 41 des LG Berlin vom 11.11.2009 unter Abweisung der Beschwerde im Übrigen teilweise abgeändert:
Dem Antragsteller wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe für den in der Prozesskostenhilfeantragsschrift angekündigten Klageantrag zu 1.) i.H.v. 9.000 EUR bewilligt.
Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird ihm Rechtsanwalt J.B. beigeordnet.
Gründe
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, §§ 127, 569, 567 ZPO.
I. Sie ist auch überwiegend begründet.
Der beabsichtigten Klage kann eine Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO überwiegend nicht abgesprochen werden. Ausreichend ist insoweit, dass der Antragsteller einen Anspruch auf die begehrte Leistung schlüssig vorgetragen hat und, soweit eine erhebliche Verteidigung der Antragsgegnerin vorliegt, jedenfalls nicht ohne Beweiserhebung entschieden werden kann
Ansprüche des Antragstellers aus dem zum 16.6.2008 abgeschlossenen Versicherungsvertrag (vgl. den Versicherungsschein vom 17.6.2008, Anlage zur Antragsschrift) richten sich nach dem Versicherungsvertragsgesetz in der ab dem 1.1.2008 geltenden Fassung (künftig: VVG).
1. Der Antragsteller hat einen Anspruch aus § 1 VVG i.V.m. lit. A.2.6 AKB schlüssig dargelegt. Er hat für einen Diebstahl in ausreichender Weise vorgetragen, indem er ausgeführt hat, dass er das versicherte Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat und zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt nicht wieder aufgefunden hat. Das genügt nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. die Darstellung der von der Rechtsprechung entwickelten Darlegungs- und Beweiserleichterungen bei Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 49 Rz. 43 ff.). Da die Antragsgegnerin ein Diebstahlsgeschehen bestreitet, hängt die Entscheidung vom Ergebnis einer Beweisaufnahme über den behaupteten Sachverhalt ab. Dem Antragsteller stehen zwar keine Zeugen zur Verfügung, die zugegen waren, als er das versicherte Fahrzeug abstellte und später an diesem Abstellort nicht wieder vorfand. Ihm kommt insoweit aber eine weitere von der Rechtsprechung entwickelte Erleichterung zugute, als seine Anhörung in der mündlichen Verhandlung als Beweismittel zugelassen ist (vgl. Kollhosser, a.a.O., Rz. 59). Im vorliegenden Fall kann der Antragsteller sich außerdem ergänzend auf seine Ehefrau stützen, die Zeugin für Indiztatsachen ist. Nach der Behauptung des Antragstellers hatte seine Ehefrau den Pkw kurze Zeit nach seiner Heimkehr gegen 22.00 Uhr auf dem Mieterparkplatz gesehen und war am nächsten Tag, nachdem er die Wohnung gegen 12.00 Uhr verlassen, von ihm wenig später zu dem leeren Abstellplatz geholt worden.
Der Vortrag der Antragsgegnerin, der gegen die Redlichkeit des Antragstellers gerichtet ist, steht einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen. Zwar kommt die zuvor genannte, weitere Beweiserleichterung (Anhörung als Mittel der Beweisführung) nur dem redlichen Versicherungsnehmer zugute. Der vorgetragene Sachverhalt trägt die Feststellung, dass der Antragsteller unredlich ist, indes nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung wird die Redlichkeit des Versicherungsnehmers vermutet (vgl. Kollhosser, a.a.O., Rz. 60). Die Glaubwürdigkeitsvermutung entfällt, wenn sich aus unstreitig feststehenden oder bewiesenen Tatsachen ergibt, dass der Versicherungsnehmer unglaubwürdig ist oder dass schwerwiegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit und der behaupteten Entwendung bestehen ((vgl. Kollhosser, a.a.O., Rz. 60 f., BGH VersR 1996, 575).
Dieses kann im hier gegebenen Sachverhalt, wobei im Rahmen der Prozesskostenhilfeentscheidung nur unstreitiger Sachverhalt berücksichtigt werden darf, nicht angenommen werden.
Der Vorwurf der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe bei Abschluss des Versicherungsvertrages eine falsche Laufleistung (50.000km statt 125.000km) angegeben, kann der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegenstehen. Zum einen ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller irgendwelche Vorteile aus der Angabe einer zu geringen Laufleistung bei Vertragsschluss haben könnte. Zum anderen beruft der Antragsteller sich darauf, dass der Fehler nur auf einem Irrtum des Versicherungsmaklers beruhen könne - schon weil er seinerzeit den Kaufvertrag (mit der richtigen Kilometerangabe) vorgelegt habe.
Anders liegt der Vorwurf, der Antragsteller habe bei Vertragsschluss die voraussichtliche jährliche Fahrleistung des versicherten Fahrzeugs mit 9.000km angegeben, obwohl er -hochgerechnet- schon im ersten Jahr diese Grenze mit ca. 20.000km bei weitem überschritten hätte. Hier liegt der Vorteil des Versicherungsnehmer...