Leitsatz (amtlich)

Stellt die Verteidigung sukzessiv immer neue Beweisanträge, nachdem das Gericht sein Beweisprogramm schon abgeschlossen hat, führen die durch die sachgerechte Bearbeitung der Anträge auftretenden, der Justiz grundsätzlich nicht zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen auch bei einer längeren Zeitdauer nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft i.S.V. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 15.08.2008; Aktenzeichen (533) 69 Js 250/05 KLs (26/06))

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Berlin vom 15. August 2008 in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss vom 10. September 2008 wird mit der Maßgabe, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr entfällt, verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Gegen den Beschwerdeführer ist zurzeit das Hauptverfahren vor dem Landgericht Berlin anhängig. Dem Verfahren liegen betreffend den Beschwerdeführer zwei (verbundene) Anklagen der Staatsanwaltschaft Berlin zugrunde. Der mit dem Anklagesatz vom 20. Oktober 2006 (69 Js 250/05) hinsichtlich der Tatvorwürfe übereinstimmende Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. August 2005 (351 Gs 3183/05) legt dem Angeklagten zur Last, von März bis Mai 2004 durch zwei selbstständige Handlungen mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge (erster Fall = Fallakte 47: 100 Kilogramm Haschisch und drei Kilogramm Kokain; zweiter Fall : 100 Gramm Kokain) unerlaubt Handel getrieben zu haben und im ersten Fall zugleich vorsätzlich einen anderen zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestimmt zu haben. Aufgrund dieses Haftbefehls befindet sich der Beschwerdeführer seit dem 8. September 2006 in Untersuchungshaft. Mit der Anklageschrift vom 18. September 2006 (52 Js 389/04) wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am 2. November 2003 zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde (gefälschter griechischer Reisepass) gebraucht und hierbei zugleich sich ohne Pass und Ausweisersatz im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Den insoweit erlassenen Haftbefehl vom 1. Juli 2004 (351 Gs 2596/04) hat der Senat durch Beschluss vom 29. April 2008 aufgehoben. Für beide Verfahren ist der Beschwerdeführer am 8. September 2006 aus Portugal ausgeliefert worden; er hat sich dort seit dem 16. August 2006 in Auslieferungshaft befunden. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat am 20. Februar 2007 begonnen, ein Urteil ist bisher nicht ergangen. Mit Beschluss vom 19. November 2007 hat das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der beiden Haftbefehle zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 17. Dezember 2007 verworfen. Auf erneuten Antrag des Angeklagten auf Aufhebung der genannten Haftbefehle hat das Landgericht mit Entscheidung vom 7. März 2008 beschlossen, dass die Haftverhältnisse fortdauern. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 29. April 2008 den Haftbefehl vom 1. Juli 2004 aufgehoben und im Übrigen die Beschwerde verworfen. Den Antrag des Angeklagten vom 4. August 2008, den Haftbefehl vom 2. August 2005 aufzuheben, hat das Landgericht durch seinen Beschluss vom 15. August 2008 zurückgewiesen. Die Beschwerde des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1.

Dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr liegen weiterhin vor, auch sind keine milderen Maßnahmen nach § 116 StPO geeignet, den# Zweck der Untersuchungshaft zu sichern. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Gründe seiner Beschlüsse vom 17. Dezember 2007 und 29. April 2008, die insoweit fortgelten.

Soweit die Strafkammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 10. September 2008 als zusätzlichen Haftgrund Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO angenommen hat, liegen die Voraussetzungen nicht vor. Dieser Haftgrund ist nur gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen das Verhalten des Angeklagten den dringenden Verdacht begründet, er werde eine der in § 112 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a bis c StPO umschriebenen, auf Beweisvereitelung abzielenden Handlungen vornehmen, und deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 31. März 2006 - 4 Ws 58/06 - m.w.N.). Die Umstände, dass der Angeklagte im März 2007 in der Haftanstalt ein Mobiltelefon mit benutzte und zuletzt aus dem Krankenhaus der Berliner Justizvollzugsanstalten über eine Mitpatientin Briefkontakt zu seiner Lebensgefährtin hatte, genügen diesen hohen Anforderungen nicht. Hieraus ergibt sich lediglich, dass der Angeklagte unkontrollierte Kontakte wahrnahm, nicht jedoch liegen damit konkrete Hinweise vor, dass er diese Kontakte auch zu Beweismanipulationen genutzt hat bzw. nutzen will. Im Übrigen macht dies vor dem Hintergrund, dass die Beweisaufnahme bereits weitestgehend abgeschlossen ist, auch wenig Sinn.

2.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch weiterhin noch ver...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?