Leitsatz (amtlich)

Beruht der Erlass der entschädigungsfähigen Strafverfolgungsmaßnahme in Gänze oder im Wesentlichen auf anderen Beweismitteln oder dauert die Maßnahme maßgeblich auch aus diesen Gründen weiter an, so kann ein für sich betrachtet grob fahrlässiges Verhalten des Freigesprochenen aus Gründen mangelnder Verursachung nicht zum Ausschluss der Entschädigung führen (§§ 5, 6 StrEG)

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 20.02.2008; Aktenzeichen (506) 68 Js 656/06 Kls (23/07))

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen die Entschädigungsentscheidung in dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Februar 2008 betreffend den Zeitraum vom 18. Januar bis zum 31. Oktober 2007 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Freigesprochenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.

 

Gründe

Das Landgericht hat den früheren Angeklagten durch das Urteil vom 20. Februar 2008 von dem Vorwurf, in zwei Fällen als Mittäter eine gefährliche Körperverletzung begangen zu haben, rechtskräftig freigesprochen. Zugleich hat es diesem Freigesprochenen eine Haftentschädigung für die vom 17. Januar bis zum 31. Oktober 2007 erlittene Untersuchungshaft zugesprochen. Gegen diese Entscheidung betreffend den Zeitraum vom 18. Januar bis zum 31. Oktober 2007 richtet sich die nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Entschädigung wird nicht durch § 5 Abs. 2 StrEG ausgeschlossen.

Einem Freigesprochenen steht für die in § 2 StrEG aufgeführten Strafverfolgungsmaßnahmen grundsätzlich eine Entschädigung zu. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ist eine Entschädigung ausgeschlossen, wenn und soweit der Freigesprochene die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Entscheidend ist dabei, wie sich der Sachverhalt den Ermittlungsbehörden bzw. Gerichten zum Zeitpunkt der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Strafverfolgungsmaßnahme dargestellt hat (vgl. KG, Beschluss vom 28. März 2001 - 3 Ws 615/00 -). Dabei ist der Senat an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen das Urteil des Landgerichts beruht, nach § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO gebunden, kann sie jedoch aus den Verfahrensakten und im Wege des Freibeweises ergänzen, wenn er sich dadurch nicht in Widerspruch zu den Urteilsausführungen setzt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2000 - 4 Ws 41/00 - bei [...] m.w.N.). Zu beachten ist zudem, dass der Versagungstatbestand aus § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG anerkanntermaßen als Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 - und 20. Juni 2006 - 4 Ws 41/05 - m.w.N.). Es reicht daher nicht aus, dass sich der Freigesprochene irgendwie verdächtig gemacht hat und die gesamte Verdachtslage die ergriffene Strafverfolgungsmaßnahme rechtfertigt (vgl. BVerfG NJW 1996, 1049; Senat, Beschluss vom 20. März 2000 - 4 Ws 41/00 -). Erforderlich ist vielmehr, dass er die Maßnahme durch die Tat (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juni 2006 - 4 Ws 41/05 -; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 255, 256) oder sein früheres oder nachfolgendes (Prozess-)Verhalten (hierzu KG, Beschluss vom 7. Januar 2003 - 5 Ws 676/02 -) ganz oder überwiegend verursacht hat, sie also nicht im Wesentlichen auf anderen Beweisen beruht oder die Maßnahme auch unabhängig von seinem Verhalten, welches sicher festzustellen ist (vgl. OLG Köln StraFO 2001, 146; OLG Oldenburg, StraFO 2005, 384), angeordnet oder aufrechterhalten worden wäre. Im Zweifelsfalle ist zu seinen Gunsten zu entscheiden (vgl. BVerfG, NJW 1996, 1049; Senat, Beschlüsse vom 9. März 1999 - 4 Ws 24/99 -, 20. Juni 2006 - 4 Ws 41/05 - und 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 -; KG, Beschluss vom 21. September 2006 - 5 Ws 524/06 -; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 5 StrEG Rdn.7; Meyer, StrEG 7.Aufl., § 5 Rdn. 39; Schätzler/Kunz, StrEG 3. Aufl., § 5 Rdn. 43). Ob eine entsprechend schuldhafte Verursachung vorliegt, ist nach zivilrechtlichen Grundsätzen (§§ 254, 276, 278 BGB) zu beurteilen und dabei mit der haftungsbegründenden Kausalität zu beginnen. Denn die Regelung bringt den für jedes Entschädigungsrecht geltenden Grundsatz zum Ausdruck, dass derjenige, der durch sein eigenes zurechenbares Verhalten eine (entschädigungspflichtige) Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat, nicht auch noch entschädigt werden darf. Daher steht eine Verletzung der dem Geschädigten obliegenden Schadenminderungspflicht einer Mitverursachung gleich (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Juni 2006 - 4 Ws 41/05 - und 18. April 2007 - 4 Ws 47/04 -; Meyer, a.a.O., vor §§ 5 - 6, Rdn. 3, 7). Der Freigesprochene hat die Ermittlungsmaßnahme - hier die wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr angeordnete Untersuchungshaft - dann zumindest grob fahrlässig verursacht, wenn er den die Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertigenden Verdacht auf sich lenkt, indem er in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage aufw...

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