Leitsatz (amtlich)
Wer sich unter Beibehaltung seiner Wohnung zur Palliativpflege in ein (Sterbe-)Hospiz begibt, begründet dort regelmäßig keinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 343 Abs. 1 FamFG, § 2 Abs. 4 S. 1 IntErbRVG.
Normenkette
FamFG § 343 Abs. 1; IntErbRVG § 2 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 65 VI 314/20) |
AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 61 AR 35/20) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Schöneberg.
Gründe
Als örtlich zuständiges Gericht ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG i.V.m. § 343 Abs. 1, § 344 Abs. 4, § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG das Amtsgericht Schöneberg zu bestimmen.
Zum einen folgt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg aus § 343 Abs. 1 FamFG in der seit dem 17. August 2015 geltenden Fassung. Maßgeblich ist nicht der schlichte Aufenthalt, an den § 343 Abs. 1 Hs. 2 FamFG a.F. (hilfsweise) anknüpfte (vgl. dazu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Mai 2013 - 9 AR 11/13 - juris Rn. 11), sondern der gewöhnliche Aufenthalt. Es ist anzunehmen, dass die Erblasserin im Zeitpunkt ihres Todes ihren gewöhnlichen Aufenthalt (weiterhin) am Ort ihrer Wohnung in der ... hatte. Mit dem Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" ist der Ort gemeint, an dem der Schwerpunkt der Bindungen einer Person, ihr Daseinsmittelpunkt, liegt (vgl. BGH, NJW 1993, 2047, 2048; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 3 Rn. 9). Der Wohnsitz (§§ 7 ff. BGB) ist ein Indiz für den gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. BR-Drucks. 220/15 S. 1), das hier durch die (auszugsweise) Darstellung des Betreuers (Bl. 16 d.A.) nicht entkräftet wird. Die Erblasserin wurde Ende März 2020 aus dem Krankenhaus in eine von der ... GmbH betriebene "BeatmungsWG" entlassen. Ihre Wohnung wurde nicht aufgelöst, sondern es sollte nach drei Monaten entschieden werden, ob die Erblasserin in diese zurückkehren könne. Nach erneuten Krankenhausaufenthalten wurde die Erblasserin am 18. Mai 2020 zur Palliativpflege in das ... aufgenommen, wo sie am nächsten Tag verstarb.
Die vorübergehenden Aufenthaltswechsel ließen den tatsächlichen Lebensmittelpunkt der Erblasserin, die auch über soziale Beziehungen verfügte, unberührt. Wird die bisherige Niederlassung - wie hier - nicht aufgehoben, setzt die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts regelmäßig voraus, dass dieser auf einige Dauer - z.B. sechs Monate - hin angelegt ist (Keidel/Sternal, a.a.O., § 3 Rn. 10; Zöller/Geimer, ZPO, 33. Aufl., v. § 97 Rn. 41, § 98 Rn. 91). Bei einem Krankenhausaufenthalt steht darüber hinaus die (zeitlich begrenzte) Heilbehandlung und nicht die soziale Einbindung des Patienten in das neue Umfeld im Vordergrund. Gleiches gilt für die Aufnahme in eine Einrichtung zur temporären Intensivpflege oder in ein Hospiz, ggf. zur Sterbebegleitung. Die Palliativversorgung ist eine Form der medizinischen Behandlung mit besonderen Schwerpunkten und Zusatzleistungen. Der Betroffene verweilt in einer solchen Einrichtung üblicherweise nur vorübergehend. Seine Anwesenheit wird nicht dadurch zum gewöhnlichen Aufenthalt, dass sie voraussichtlich eher durch den Tod als durch die Rückkehr in die Wohnung enden wird (MünchKomm/Grziwotz, FamFG, 3. Aufl., § 343 Rn. 13; a.A. Keidel/Zimmermann, a.a.O., § 343 Rn. 69). Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (FamRZ 2007, 84) liegt ein anderer Sachverhalt zu Grunde (Kündigung und Auflösung der Wohnung, achtmonatiger Aufenthalt in einem Hospiz).
Zum anderen ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg für das Verfahren über die Bestellung des Nachlasspflegers (§ 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, § 1960 Abs. 2 BGB) aus § 344 Abs. 4 FamFG. Das Bedürfnis für die Sicherung des Nachlasses ist im Bezirk des Amtsgerichts Schöneberg aufgetreten, wo sich die Wohnung der Erblasserin mit Nachlassgegenständen befindet. Weiter ist das Amtsgericht Schöneberg für die Entgegennahme der Ausschlagungserklärungen (von Tochter und Schwester) sowie des Schreibens vom 27. August 2020 nebst gerichtlicher Genehmigung gemäß § 344 Abs. 7 S. 1 FamFG zuständig. Sein Beschluss vom 11. August 2020 ist nicht gemäß § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG bindend. Die Bindungswirkung tritt nicht ein, wenn es dem Verweisungsbeschluss an jeder rechtlichen Grundlage fehlt, so dass er objektiv willkürlich erscheint (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S 175; BGH, NJW 2006, 847, 848). So liegt es hier, weil sich das Amtsgericht Schöneberg zumindest über die speziellen Zuständigkeitsvorschriften hinweggesetzt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 14184753 |
FGPrax 2020, 279 |
ZEV 2020, 7 |
ZEV 2021, 182 |
NJ 2020, 550 |
Rpfleger 2021, 46 |
ErbR 2021, 161 |
FamRB 2021, 32 |