Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtsstand in Nachlasssachen bei Tod im Hospiz
Leitsatz (amtlich)
1. Der gewöhnliche Aufenthalt ist der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegt (Anschluss an BGH, NJW 1993, 2047, 2048) und ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln (Anschluss an OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.8.2019 - 1 AR 28/19, Rn. 12, juris).
2. Die bloße Anwesenheit im Hospiz wird nicht allein dadurch zum dortigen gewöhnlichen Aufenthalt, dass diese Anwesenheit voraussichtlich eher durch den Tod als die Rückkehr in die Wohnung enden wird (Anschluss an KG Berlin, Beschl. v. 6.10.2020 - 1 AR 1020/20, Rn. 3, juris).
3. Der Umstand, dass eine Person alleinlebend ist, ist kein tauliches Merkmal zur Feststellung ihres Daseinsmittepunkts.
Normenkette
FamFG § 3 Abs. 3, § 5 Abs. 1, § 343 Abs. 1-2
Verfahrensgang
AG Göttingen (Aktenzeichen 9 VI 1237/21) |
AG Northeim (Beschluss vom 08.11.2021; Aktenzeichen 4 VI 656/21) |
Tenor
Zum zuständigen Gericht wird das Amtsgericht Northeim bestimmt.
Gründe
Die Beteiligte zu 1.), Vermieterin der Verstorbenen, hat mit dem am 21.10.2020 beim Amtsgericht Northeim am Harz eingegangenen Antrag vom selben Tage (Bl. 1 d.A.) die Einsetzung eines Nachlasspflegers beantragt, um das Mietverhältnis kündigen und die Räumung der Wohnung herbeiführen zu können. Mit Schreiben vom 25.10.2021 (Bl. 5 d.A.) hat gem. § 46 NJG auch die Beteiligte zu 2.) das Amtsgericht Northeim vom Tod der Erblasserin unterrichtet und im Hinblick auf die entstandenen Bestattungskosten in Höhe von ca. 1.400,00 EUR hilfsweise gemäß § 1961 BGB ebenfalls die Bestellung eines Nachlasspflegers beantragt.
Das Amtsgericht Northeim hat mit Beschluss vom 8.11.2021 (Bl. 12 d.A.) die Sache an das Amtsgericht Göttingen verwiesen. Gleichzeitig mit der Übersendung nach dort hat es mit Verfügung vom 8.11.2021 (Bl. 13 d.A.) die Beteiligte zu 1.) und das Bestattungshaus Pfennig über die Abgabe an das Amtsgericht Göttingen schriftlich informiert. Das Amtsgericht Göttingen hat sich mit Beschluss vom 25.11.2021 für unzuständig erklärt, die Sache an das Amtsgericht Northeim zurückverwiesen (Bl. 25/25R d. A.) und dies gleichzeitig der Beteiligten zu 1.) und dem Bestattungshaus Pfennig mitgeteilt (Bl. 26 d.A.). Das Amtsgericht Northeim hat mit Verfügung vom 6.12.2021 (Bl. 28 d.A.) unter Hinweis auf die vermeintliche Bindungswirkung seines Verweisungsbeschlusses die Sache erneut dem Amtsgericht Göttingen zugeleitet.
Das Amtsgericht Göttingen hat sodann mit Verfügung vom 18.1.2022 die Sache dem Oberlandesgericht Braunschweig zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits vorgelegt.
II. 1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG durch das Oberlandesgericht Braunschweig zu entscheiden.
Außerhalb von Freiheitsentziehungs- und Betreuungssachen ist das nächsthöhere gemeinsame Gericht in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu denen Nachlasspflegschaften gehören (§ 342 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), für die beteiligten Amtsgerichte das Oberlandesgericht Braunschweig (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG).
2. Die Vorlage ist zulässig. Im Rahmen ihrer funktionellen Zuständigkeit nach § 4 Abs. 1 RPflG sind auch Rechtspfleger befugt, gemäß § 5 FamFG eine Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht herbeizuführen (OLG Köln, FGPrax 2003, 82; OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.8.2019 - 1 AR 28/19, Rn. 6, juris; vgl. für Betreuungsverfahren: OLG Brandenburg FamRZ 2019, 232, 233).
3. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG liegen vor.
Sowohl das Amtsgericht Northeim als auch das Amtsgericht Göttingen haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für unzuständig erklärt. Beide entsprechenden Beschlüsse genügen den an das Merkmal "rechtskräftig" zu stellenden Anforderungen, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Beteiligten bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.8.2019 - 1 AR 28/19, Rn. 7, juris; Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Auflage, § 36 Rn. 35).
4. Zuständig ist das Amtsgericht - Nachlassgericht - Northeim.
Sein Verweisungsbeschluss vom 8.11.2021 ist rechtlich nicht zutreffend (nachfolgend zu lit. a). Er ist auch nicht bindend (s. u. zu lit. b).
a) Die örtliche Zuständigkeit knüpft an den letzten inländischen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers an (§ 343 Abs. 1 und 2 FamFG).
Zwar besteht für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts jedenfalls dann keine Mindestfrist, wenn eine Rückkehr an den bisherigen Aufenthaltsort, wie oftmals bei einer Unterbringung in einem Hospiz, ausgeschlossen ist (Keidel/Sternal, FamFG, 20. Auflage, § 3 Rn. 10). Gleichwohl ist der gewöhnliche Aufenthalt als der Ort, an dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person und ihr Daseinsmittelpunkt liegt (vgl. BGH, NJW 1993, 2047, 2048), jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu ermitteln (OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.8....