Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 10.05.2007; Aktenzeichen 303 Cs 167/05 - 63 Js 2690/05)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Ordnungsmittelbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 10. Mai 2007 aufgehoben.

Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

 

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat mit dem angefochtenen Beschluss gegen den Angeklagten wegen Ungebühr ein Ordnungsgeld in Höhe von 100,00 EUR, ersatzweise vier Tage Ordnungshaft, verhängt. Die Beschwerde des Angeklagten ist nach § 181 Abs. 1 GVG zulässig und begründet.

1.

Die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung einer Ordnungsmaßnahme sind erfüllt.

Zwar ist der Ordnungsmittelbeschluss entgegen § 34 StPO nicht begründet worden, so dass sich aus ihm noch nicht einmal erschließt, welche Ungebühr dem Angeklagten zur Last gelegt wird. Dieser Verstoß gegen die Protokollierungspflicht des § 182 GVG führt jedoch dann nicht zu der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, wenn die Begründung durch stillschweigende oder ausdrückliche Bezugnahme auf das Protokoll ersetzt wird und sich aus diesem Hauptverhandlungsprotokoll die Gründe der Entscheidung ergeben und dadurch dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung ermöglicht wird (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 21. Juli 2006 - 4 Ws 84/06 -; Meyer-Goßner, StPO 50. Auflage, § 182 GVG Rdnr. 4; jeweils m.w.Nachw.).

So liegen die Dinge hier. Dem Protokoll ist einwandfrei zu entnehmen, in welcher Äußerung des Beschwerdeführers das Amtsgericht eine Ungebühr gesehen hat. Vor der Verhängung der Ordnungsmaßnahme ist dem Angeklagten in dem gebotenen Maße rechtliches Gehör gewährt worden, von dem er auch Gebrauch gemacht hat.

2.

Das Amtsgericht hat das Verhalten des Beschwerdeführers zu Unrecht als ungebührlich im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG bewertet.

Als Ungebühr im Sinne dieser Vorschrift ist ein Verhalten anzusehen, das geeignet ist, die Würde des Gerichts erheblich zu verletzen oder die Ruhe und Ordnung der Verhandlung gröblich zu stören (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 21. Juli 2006 a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 178 GVG Rdnr. 2; jeweils m.w.Nachw.). Bei dem, der nur in begreiflicher Erregung über das Ziel hinausschießt und sich im Ausdruck vergreift, muss keine Ungebühr vorliegen (vgl. KG, Beschluss vom 25. Juni 1999 - 5 Ws 295/99 - m.w.Nachw.). Letzteres ist hier der Fall.

Der Beschwerdeführer äußerte ausweislich der Sitzungsniederschrift am 19. April 2007 nach der Unterbrechung der Hauptverhandlung vor Verlassen des Sitzungssaales als Reaktion auf die Anregung des Vorsitzenden, zum Zwecke der Verfahrenseinstellung nach § 153 a Abs. 2 StPO noch einmal über die Ableistung der angebotenen gemeinnützigen Arbeit nachzudenken, "da er ja offenbar sein Studium momentan nicht fortsetze und Zeit habe:

"Darüber könnten Sie auch nachdenken, bei dem Mist, den das Gericht bisher verzapft hat."

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat hierzu unter anderem wie folgt Stellung genommen:

"Vorliegend weist die durch die Akten vermittelte Erkenntnislage und damit die erforderliche (vgl. KG a.a.O.) Gesamtschau aller Umstände (...) aus, dass es sich (...) um eine einmalige, nachvollziehbare, wenn auch nicht zu billigende Entgleisung des Beschwerdeführers gehandelt hatte. Die Durchführung der Hauptverhandlung an mehreren Tagen war geprägt von einem ungewöhnlich gespannten Verhältnis zwischen dem Amtsrichter und dem Verteidiger des Beschwerdeführers, das für Letzteren mehrfach Anlass gab, den Richter am Amtsgericht wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Bereits im Anschluss an den ersten Hauptverhandlungstag am 7. Februar 2006, an dem das Verfahren ausgesetzt werden musste, bezeichnete der Amtsrichter den Angeklagten unstreitig als "pubertierenden Studenten". Dass der Angeklagte zu solchen Äußerungen des Richters durch eigenes ungebührliches Verhalten in irgendeiner Art und Weise Anlass gegeben hätte, ist nicht erkennbar, wie sich auch aus der dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters vom 22. Januar 2007 (...) erschließt. Auch zum Zeitpunkt der beanstandeten Äußerung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin vom 19. April 2007 gab es ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls jedenfalls in der Person des Beschwerdeführers selbst keinen Grund zur Beanstandung seines Verhaltens. Auch dieser Hauptverhandlungstermin war gekennzeichnet durch Entscheidungen über zuvor gestellte Ablehnungsanträge des Verteidigers und einen weiteren Befangenheitsantrag gegen den Richter sowie die Protokollführerin des Amtsgerichts. Die beanstandete Äußerung des Beschwerdeführers (...) kann auch nicht als schwerwiegender Ausdruck der Missachtung des Angeklagten dem Gericht gegenüber gewertet werden. Angesichts der vorangegangenen Verfahrensgeschehnisse, die dem Verteidiger zu mehreren Befangenheitsanträgen Anlass gaben, bezog sich die wertende Bemerkung des Angeklagten ("Mist") ersichtlich auf die Verhandlungsf...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?