Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung des dringenden Tatverdachts durch das Beschwerdegericht während laufender Hauptverhandlung. Betrug als Anlasstat
Leitsatz (amtlich)
Im Haftbeschwerdeverfahren während laufender Hauptverhandlung unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht vornimmt, nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht.
Betrugstaten kommen nur dann als Anlasstaten im Sinne des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO in Betracht, wenn sie hinsichtlich der Art der Tatausführung oder des Umfangs des verursachten Schadens, mithin in ihrem Schweregrad etwa dem besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGBentsprechen. Ein im Einzelfall eingetretener oder beabsichtigter Vermögensschaden von knapp 1.800 Euro zum Nachteil eines Versandhandelsunternehmens qualifiziert weder den Schweregrad der Tat noch deren Unrechtsgehalt als überdurchschnittlich und erscheint nicht geeignet, in weiten Kreisen das Gefühl der "Geborgenheit im Recht" zu beeinträchtigen, auch wenn wegen der sonstigen Umstände der Tatbegehung die Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe in Betracht kommt.
Normenkette
StPO § 117 Abs. 2, § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 19.09.2014; Aktenzeichen (517) 285 Js 255/13 KLs (34/13)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19. September 2014, durch den der Haftverschonungsbeschluss der Kammer vom 21. Januar 2014 aufgehoben und der Vollzug des Haftbefehls vom 20. Dezember 2013 (auch) betreffend den Beschwerdeführer angeordnet worden ist, aufgehoben.
Der Angeklagte bleibt vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft in dieser Sache unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom 20. Dezember 2013 mit der Maßgabe, dass er des gewerbsmäßigen Betruges in 85 vollendeten und 12 versuchten Fällen dringend verdächtig ist, und unter den Bedingungen des vorgenannten Haftverschonungsbeschlusses in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 3. Juni 2014 verschont.
Gründe
I.
1. Gegen den Angeklagten K. findet seit dem 23. Mai 2014 die Hauptverhandlung vor der 17. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin statt. Nach der zugelassenen Anklage liegt ihm gewerbsmäßiger Bandenbetrug in 97, gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten M. R. und dem früheren Mitangeklagten B. R. begangenen Fällen zur Last, wobei es in zwölf Fällen (Fälle 11, 22, 66, 67, 68, 69, 72, 73, 97, 98, 99 und 100 der Anklage vom 22. Oktober 2013) beim Versuch geblieben sein soll. Der Angeklagte K. soll neben den mitangeklagten Brüdern M. und B. R. Mitglied einer arbeitsteilig agierenden Tätergruppe gewesen sein, die in Berlin in der Zeit vom 22. Oktober 2012 bis zum 18. Januar 2013 unter Vorspiegelung nicht vorhandener Zahlungsbereitschaft im Internet (Waren-)Bestellungen unter fremdem Namen vorgenommen haben soll. Die daraufhin übersandten Waren sollen von unbekannt gebliebenen Mittätern oder von den Angeklagten selbst mit dem PKW des B. R. an den bei der Bestellung angegebenen Adressen abgeholt worden sein. Da die Waren (wie beabsichtigt) in der Folgezeit nicht bezahlt worden seien, soll den Versandhändlern ein Schaden in Höhe von insgesamt 19.606,72 Euro entstanden sein. In den Fällen, in denen die Taten nicht zur Vollendung gelangt sein sollen, soll der erstrebte Vorteil in Warenwerten von insgesamt 7.103,93 Euro gelegen haben. Die Einzelschäden sollen zwischen 24,95 Euro und 1.758 Euro betragen, der höchste Bestellwert in den nicht zur Vollendung gelangten Fällen bei 1.784 Euro gelegen haben.
Nachdem das Verfahren gegen B. R. am 26. September 2014 zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und dieser durch inzwischen rechtskräftiges Urteil der Kammer vom 15. Oktober 2014 freigesprochen worden ist, qualifiziert die Kammer diese Taten jeweils rechtlich nicht mehr als von dem Angeklagten K. gewerbs- und bandenmäßig begangenen Betrug, sondern als - gemeinschaftlich mit M. R. begangenen - gewerbsmäßigen Betrug (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB).
2. Nach Anklageerhebung am 30. Oktober 2013 hat die Kammer am 20. Dezember 2013 wegen bestehender Fluchtgefahr Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer und den Mitangeschuldigten M. R. unter Annahme dringenden Tatverdachts wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 88 vollendeten und zehn versuchten Fällen erlassen. Nachdem M. R. aufgrund dieses Haftbefehls am 15. Januar 2014 auf dem Flughafen X festgenommen worden war, hat sich der Beschwerdeführer nach entsprechender Ankündigung durch seinen Verteidiger am 21. Januar 2014 im Termin zur Haftbefehlsverkündung selbst gestellt und ist durch Beschluss der Kammer vom selben Tage vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont worden. Er ist angewiesen worden, sich dreimal wöchentlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden, dem Gericht unaufgefordert und unverzüglich jeden Wohnsitzwechsel anzuzeigen und seinen Reisepass zu den Akten zu reichen. Mit dem (Teil-)Eröffnungsbeschluss der Kam...