Leitsatz (amtlich)

1. Im Freigabeverfahren muss der Kläger innerhalb der Frist des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG seinen Anteilsbesitz durch Urkunden nachweisen, selbst wenn die Aktiengesellschaft ihn nicht bestreitet (gegen OLG Frankfurt AG 2010, 508; OLG Nürnberg GWR 2010, 498 = BeckRS 2010, 23752).

2. Der die Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beurkundende Notar kann nicht als provisorischer Versammlungsleiter tätig werden.

 

Tenor

Es wird festgestellt,

a) dass die Erhebung der bei dem LG Berlin zum Geschäftszeichen 98 O 94/10 anhängigen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Antragsgegnerin der Eintragung der zu den Tagesordnungspunkten 5.2, 6.1, 6.2 und 6.3 gefassten Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 23.8.2010 in das Handelsregister nicht entgegensteht,

b) dass Mängel der vorgenannten Beschlüsse die Wirkung ihrer Eintragung im Handelsregister unberührt lassen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes beträgt insgesamt 55.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt die Feststellung, dass die Erhebung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Antragsgegnerin vor dem LG Berlin zum Aktenzeichen 94 O 94/10 gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 23.8.2010 zu den Tagesordnungspunkten 5.2, 6.1, 6.2, und 6.3 über die Erhöhung des Grundkapitals der Antragstellerin mit Bezugsrecht der Aktionäre um bis zu 12,5 Mio. EUR (TOP 5.2) und über die Zustimmung zu dem Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen ihr, der Antragstellerin, und der V. i.V. GmbH (TOP 6.1), des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen ihr und der r. GmbH (TOP 6.2) sowie des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen ihr und der M. GmbH (TOP 6.3) der Eintragung dieser Beschlüsse im Handelsregister nicht entgegen steht und Mängel dieser Hauptversammlungsbeschlüsse die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.

Die Antragstellerin ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit knapp 700 Aktionären; ihr Sitz ist Berlin. Das Grundkapital der Antragstellerin betrug bis zur Hauptversammlung vom 23.8.2010 13.059.013 EUR und ist in ebenso viele Namensaktien ohne Nennwert eingeteilt. Die Antragsgegnerin verweist auf frühere Freigabeverfahren, wonach der Antragstellerin bekannt ist, dass sie mit deutlich mehr als 1.000 Aktien an deren Grundkapital beteiligt ist. Weiter sind an der Antragstellerin u.a. die Aktionäre B.C.P.F.P.GmbH & Co KG (B.) und S.H.(Deutschland) GmbH (S.) beteiligt.

Das Grundkapital der Antragstellerin ist verloren. Sie wies am 31.12.2008 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 17,2 Mio. EUR und zum 31.12.2009 einen solchen von 33,475 Mio. EUR aus. Die K.AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erstellte unter dem Datum des 9.8.2009 ein Sanierungskonzept, auf das verwiesen wird (Anlage CC 4) und das unter der Prämisse der Umsetzung der vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen mit einer positiven Fortführungsprognose abschließt.

Die Antragstellerin schloss am 28.8.2009 mit der S.GmbH, der B.KG, der S.AG, der N.der W.AG, der C.und der D.B.eine Sanierungsvereinbarung, auf die ebenfalls verwiesen wird (Anlage CC 9): u.a. verzichteten die kreditgewährenden Banken hierin auf Kreditforderungen von insgesamt 53,8 Mio. EUR. Die Verzichtsquote der Banken beträgt im Durchschnitt 65,5 %. In den Anlagen 3.9-1 und 3.9-2 der Anlage zur Sanierungsvereinbarung vom 28.8.2009 (CC 9), in einem ersten Nachtrag zur Sanierungsvereinbarung vom 11.5.2010 (CC 10) und in einem weiteren Nachtrag vom 29.11.2010 (CC 26) stellten die Vertragsparteien die Bedingungen für den Verzicht der Banken klar.

Am 23.8.2010 wurde die auf diesen Tag anberaumte außerordentliche Hauptversammlung der Antragstellerin durchgeführt, auf der u.a. die genannten Beschlüsse zu TOP 5.2, 6.1, 6.2 und 6.3 gefasst wurden; wegen des Abstimmungsergebnisses und des Ablaufs der Hauptversammlung im Einzelnen wird auf das notarielle Protokoll des Notars R.vom selben Tage verwiesen (Anlage CC 11).

Die Antragsgegnerin erhob vor dem LG Berlin u.a. gegen die hier in Rede stehenden Beschlüsse Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage.

Die Antragstellerin macht geltend, die Klage der Antragsgegnerin sei offensichtlich unbegründet. Die Klage sei schon rechtsmissbräuchlich erhoben. Die gerügten Beschlussmängel bestünden nicht. Zudem bestehe im Hinblick auf die Sanierungsvereinbarung ein vorrangiges wirtschaftliches Interesse an der sofortigen Eintragung der angefochtenen Beschlüsse vom 23.8.2010, zumal 1.800 Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden. Die Aktionäre hätten zudem ein Interesse daran, dass die Antragstellerin fortbestehe und - bei vorliegender Fortführungsprognose - künftig wieder Gewinne erwirtschafte und damit einen steigenden Wert der Aktien bewirke. Entgegenstehende wirtschaftliche Interessen der Antragsgegnerin habe diese nicht geltend gemacht. Jedenfalls seien die beanstandeten Rechtsverstöße nicht besonders schwerwiegend.

Die A...

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