Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen die Zuweisung der Ehewohnung: Fehlerhafte Bestellung eines Verfahrensbeistands; possessorischer Rechtsschutz im Verhältnis zum Schutz des Kindeswohls; Trennung des Besitzschutzbegehrens und der Ehewohnungssache in erster und zweiter Instanz
Leitsatz (amtlich)
1. Die fehlerhafte Bestellung eines Verfahrensbeistandes führt nicht zu einem Verwertungsverbot seiner fachlichen Würdigungen bei der gerichtlichen Entscheidung, weil das Gericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 26 FamFG in der aus seiner Sicht geeigneten Form Maßnahmen zur Entscheidungsvorbereitung ergreifen kann.(Rn. 25)
2. Die Schlossauswechslung an der Ehewohnung durch die Ehefrau stellt im Verhältnis zum Ehemann eine verbotene Eigenmacht dar, die Besitzschutzansprüche nach § 861 BGB begründet. lm Verhältnis zu dem hier nach § 1361b Abs. 1 Satz 2 BGB maßgeblichen Schutz des Kindeswohls tritt der possessorische Rechtsschutz aber dann zurück, wenn das Kindeswohl im Sinne einer unbilligen Härte beeinträchtigt ist mit der Folge einer Zuweisung der Wohnung an den besitzrechtlich Herausgabepflichtigen.(Rn. 28)
3. Das ergibt sich sowohl aus der Unterlassungsverpflichtung des § 1361b Abs. 3 BGB als auch aus dem Verbot, etwas zu verlangen, das sofort wieder herauszugeben wäre (§ 242 BGB, dolo agit-Einwand): Wenn der Schutz des Kindeswohls die vollständige Überlassung der Wohnung an den einen Ehegatten gebietet, kommt eine gegenläufige Besitzeinräumung an den anderen Ehegatten nicht mehr in Betracht, denn er müsste diesen Besitz unmittelbar nach seiner Erlangung wieder aufgeben.(Rn. 28)
4. Bei gegenläufigen Anträgen liegt es aus diesen materiell-rechtlichen Erwägungen für das Familiengericht nahe, wie hier geschehen vorrangig über den weitergehenden Antrag zu entscheiden, also über den Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung, um unzuträgliche Besitzwechsel zu vermeiden.(Rn. 29)
5. Zwar wäre eine Trennung der beiden Verfahren des Besitzschutzbegehrens als sonstige Familiensache nach § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG als Familienstreitsache (§ 112 Nr. 3 FamFG) und das Wohnungszuweisungsverlangens als Ehewohnungsverfahren nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG als allgemeine Familiensache (§ 111 Nr. 5 FamFG) durch das Amtsgericht geboten gewesen. Aber die verfahrensrechtlich grundsätzlich gebotene Trennung beider Verfahren in der Beschwerdeinstanz zum Zwecke gesonderter Entscheidung ist hier nicht veranlasst. Denn die Entscheidung über den Besitzschutzantrag ist durch die Zuweisung der Ehewohnung an die Ehefrau materiell-rechtlich präjudiziert, nämlich seine Zurückweisung. Eine andere Entscheidung könnte das Beschwerdegericht auch nach Trennung im Verfahren nach § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG nicht treffen. (Rn. 35)(Rn. 39)
Normenkette
BGB §§ 242, 858 Abs. 1, §§ 861, 1361b Abs. 1 S. 2, Abs. 3
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Beschluss vom 11.06.2019; Aktenzeichen 90 F 35/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 11. Juni 2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der mit der Beschwerde verbundene Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung aus dem vorgenannten Beschluss wird gleichfalls zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die am 27. Juni 2019 beim Amtsgericht eingegangene und mit Schriftsatz vom 1. Juli 2019 begründete Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schöneberg vom 11. Juni 2019. Mit diesem Beschluss hat das Amtsgericht im Eilverfahren die bei Einleitung des Verfahrens gestellten Anträge des Beschwerdeführers zurückgewiesen, ihm den Zugang zur Ehewohnung, Berlin zu gewähren und die Antragsgegnerin zu verpflichten, das zuvor vorhandene Schloss wieder einzubauen. Auf ihren Widerantrag hat das Amtsgericht der Antragstellerin die Wohnung zur alleinigen Nutzung zugewiesen und den Antragsteller verpflichtet, die Wohnung zu räumen sowie ihm untersagt, die Wohnung ohne Zustimmung der Antragsgegnerin zu betreten. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen.
Zur Begründung der Beschwerde trägt der Antragsteller vor:
Fehlerhaft habe das Amtsgericht über Antrag und Widerantrag einheitlich in demselben Verfahren entschieden, obwohl sein Antrag auf Wiedereinräumung seines Mitbesitzes an der Ehewohnung als sonstige Familiensache i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG und der Widerantrag als Ehewohnungssache i.S.d. § 200 FamFG mit unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen zu qualifizieren seien. Diese Vermischung- der Verfahrensarten habe dazu geführt, dass bei der Entscheidung über seinen Besitzschutzantrag (Familienstreitsache) in unzulässiger Weise Gesichtspunkte herangezogen worden seien, die im Rahmen der Ehewohnungssachen (allgemeine Familiensache) von Amts wegen ermittelt worden seien. Schon deshalb sei die Rückverweisung an das Amtsgericht nebst inhaltlichen "notwendigen Segelanweisungen" geboten, jedenfalls aber eine Verfahrenstrennung in der Beschwerdeinstanz erforderlich.
In jedem Fall habe das Amtsgeri...