Leitsatz (amtlich)

Dem anwaltlichen Zeugenbeistand steht im Gegensatz zu dem Verteidiger (§ 147 Abs. 1 StPO) ein eigenes Recht auf Akteneinsicht nicht zu. Diese ist im Ermittlungsverfahren grundsätzlich zu versagen, soweit Zwecke des Strafverfahrens entgegenstehen (§ 477 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Akteneinsicht für den Zeugenbeistand durch die Bundesanwaltschaft im Ermittlungsverfahren hat gemäß §§ 475, 478 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit §§ 161a Abs. 3 Satz 2 bis 4 StPO, 73 Abs. 1, 120 Abs. 3 GVG nicht der Vorsitzende allein, sondern der Senat zu entscheiden.

 

Tenor

  • 1.

    Der Antrag des Zeugenbeistands Rechtsanwältin N. auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Gründe

Der Generalbundesanwalt führt unter anderem gegen den Beschuldigten R. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung "militante Gruppe (mg)". In diesem Verfahren soll B. als Zeuge vernommen werden. Mit Beschluss vom 23. Oktober 2007 hat der stellvertretende Vorsitzende des Senats dem Zeugen für die Dauer seiner Vernehmung Rechtsanwältin N. gemäß § 68 b StPO als Zeugenbeistand beigeordnet. Ihren Antrag auf (umfassende) Akteneinsicht vom 22. Oktober 2007 hat der Generalbundesanwalt abgelehnt und ihr lediglich eine Ablichtung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs gegen R. vom 1. August 2007 übersandt. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

1.

Über den Antrag hat gemäß §§ 475, 478 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit §§ 161a Abs. 3 Satz 2 bis 4 StPO, 73 Abs. 1, 120 Abs. 3 GVG nicht der Vorsitzende, sondern der Senat zu entscheiden. Soweit § 478 Abs. 3 Satz 2 StPO anordnet, dass die Entscheidung "des Vorsitzenden" unanfechtbar ist, wird damit für den Fall, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angefochten wird, keine funktionale Zuständigkeit des Vorsitzenden begründet oder vorausgesetzt (vgl. KG, Beschluss vom 19. April 2001 - 4 VAs 1/01 -; LG Hildesheim, Beschluss vom 26. März 2007 - 25 Qs 17/06 - zitiert nach [...]). Denn § 478 Abs. 3 StPO entspricht strukturell § 406e Abs. 4 StPO (vgl. BR-Drucksache 65/99, S. 61 ff, 63; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 478 Rdnr. 4). Diese Vorschrift weist dem Vorsitzenden "des mit der Sache befassten Gerichts" die Zuständigkeit allein für den Fall zu, dass die Akteneinsicht während gerichtlicher Anhängigkeit des Verfahrens begehrt wird (vgl. Pfeiffer a.a.O. § 406 Rdnr. 4f). Eine Erweiterung der Zuständigkeit des Vorsitzenden zur Entscheidung über Anträge auf gerichtliche Entscheidungen gegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft ist mit § 478 Abs. 3 StPO nicht bezweckt.

2.

Der zulässige Antrag der Rechtsanwältin N. auf Gewährung von Akteneinsicht ist unbegründet, weil Zwecke des Strafverfahrens entgegenstehen (§ 477 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Der Senat hat dazu im vorliegenden Ermittlungsverfahren bei vergleichbarer Sachlage mit Beschluss vom 20. Dezember 2007 - (1) 2 BJs 58/06 - 2 (22/07)- ausgeführt:

"a)

Dem anwaltlichen Zeugenbeistand steht im Gegensatz zu dem Verteidiger (§ 147 Abs. 1 StPO) ein eigenes Recht auf Akteneinsicht nicht zu. Die Rechtsstellung des anwaltlichen Zeugenbeistands leitet sich aus der des Zeugen ab. Er hat keine eigenen Rechte als Verfahrensbeteiligter und keine weitergehenden Befugnisse als der Zeuge selbst (vgl. BVerfGE 38, 116; LR-Dahs, StPO 25. Aufl., Vorbemerkung § 48 Rdnr. 11; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., Vorbemerkung § 48 Rdn. 11, § 68 b Rdn. 5; KK-Wache, StPO 5. Aufl., § 161a Rdnr. 3). Einem Zeugen kommt daher, soweit er nicht Verletzter ist, ein Akteneinsichtsrecht lediglich als "Privatperson" im Sinne des § 475 StPO zu, so dass auch der anwaltliche Zeugenbeistand ein Akteneinsichtsrecht allein nach dieser Vorschrift wahrnehmen kann (vgl. OLG Düsseldorf NJW 2002, 2806; OLG Hamburg NJW 2002, 1590).

Aufgabe des Zeugenbeistands ist es, den Zeugen während der Vernehmung bei der sachgerechten Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte, insbesondere von Auskunftsverweigerungsrechten gemäß § 55 StPO oder Zeugnisverweigerungsrechten nach §§ 52 ff StPO sowie bei der Verteidigung gegen Ordnungsmittel zu unterstützen. Darüber hinaus soll er bei Zeugen, die in ihrer Aussagefähigkeit beschränkt oder in ihrer Aussagebereitschaft gehemmt sind, dazu beitragen, Aussagefehler und Missverständnisse zu verhindern. Soweit er im vorliegenden Fall dem Zeugen bei der anstehenden Entscheidung behilflich ist, ob er im Hinblick auf § 55 StPO einzelne Fragen nicht beantwortet, muss die Entscheidung jeweils für die tatsächlich gestellte Frage getroffen werden und kann sich nicht danach richten, welche Fragen - aufgrund von Akteneinsicht - vorab als möglich angesehen werden. Zu der anstehenden Entscheidung muss der Beistand nicht den Inhalt der Sachakte kennen. Grundlage der Entscheidung ist vielmehr das Wissen oder die Einschätzung des Zeugen selbst, sich bei der w...

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