Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Über den Antrag des Zeugenbeistandes auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft hat der gesamte Spruchkörper und nicht nur dessen Vorsitzender zu entscheiden.

  • 2.

    Dem anwaltlichen Zeugenbeistand steht ein Recht auf Akteneinsicht nur nach Maßgabe des § 475 StPO zu.

  • 3.

    Vor einer Vernehmung des Zeugen stehen "Zwecke des Strafverfahrens" im Sinne von § 477 Abs. 2 Satz 1 StPO einer Akteneinsicht durch den Zeugenbeistand regelmäßig entgegen.

 

Tenor

  • 1.

    Der Antrag des Rechtsanwalts A. auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

  • 2.

    Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Gründe

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ("militante Gruppe (mg)"). In diesem Verfahren soll B. als Zeuge vernommen werden. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2007 hat der Vorsitzende dem Zeugen für die Dauer seiner Vernehmung Rechtsanwalt A. gemäß § 68b StPO als Zeugenbeistand beigeordnet. Die ebenfalls beantragte Akteneinsicht ist ihm durch den Generalbundesanwalt verweigert und lediglich eine Ablichtung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs gegen L. vom 1. August 2007 übersandt worden. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.

1.

Über den zulässigen Antrag hat gemäß §§ 475, 478 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit §§ 161a Abs. 3 Satz 2 bis 4 StPO, 73 Abs. 1, 120 Abs. 3 GVG der Senat zu entscheiden. Soweit § 478 Abs. 3 Satz 2 StPO anordnet, dass die Entscheidung "des Vor-sitzenden" unanfechtbar ist, wird damit für den Fall, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren angefochten wird, keine funktionale Zuständigkeit des Vor-sitzenden begründet oder vorausgesetzt (vgl. KG, Beschluss vom 19. April 2001 - 4 VAs 1/01 -; LG Hildesheim, Beschluss vom 26. März 2007 - 25 Qs 17/06 - zitiert nach [...]). Denn § 478 Abs. 3 StPO entspricht strukturell § 406e Abs. 4 StPO (vgl. BR-Drucksache 65/99, S. 61 ff, 63; Pfeiffer, StPO 5. Aufl., § 478 Rdnr. 4). Diese Vorschrift weist dem Vorsitzenden "des mit der Sache befassten Gerichts" die Zuständigkeit allein für den Fall zu, dass die Akteneinsicht während gerichtlicher Anhängigkeit des Verfahrens begehrt wird (vgl. Pfeiffer a.a.O. § 406 Rdnr. 4f). Eine Erweiterung der Zuständigkeit des Vorsitzenden zur Entscheidung über Anträge auf gerichtliche Entscheidungen gegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft ist mit § 478 Abs. 3 StPO nicht bezweckt.

2.

Dem Antrag des Rechtsanwalts auf Gewährung von Akteneinsicht kann nicht stattgegeben werden, weil Zwecke des Strafverfahrens entgegenstehen (§ 477 Abs. 2 Satz 1 StPO).

a)

Die Rechtsstellung des anwaltlichen Zeugenbeistands leitet sich aus der des Zeugen ab. Er hat keine eigenen Rechte als Verfahrensbeteiligter und keine weitergehenden Befugnisse als der Zeuge selbst (vgl. BVerfGE 38, 116; LR-Dahs, StPO 25. Aufl., Vorbemerkung § 48 Rdnr. 11; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., Vorbemerkung § 48 Rdn. 11, § 68 b Rdn. 5; KK-Wache, StPO 5. Aufl., § 161a Rdnr. 3). Einem Zeugen kommt daher, soweit er nicht Verletzter ist, ein Akteneinsichtsrecht lediglich als "Privatperson" im Sinne des § 475 StPO zu, so dass auch der anwaltliche Zeugenbeistand ein Akteneinsichtsrecht allein nach dieser Vorschrift wahrnehmen kann (vgl. OLG Düsseldorf NJW 2002, 2806; OLG Hamburg, NJW 2002, 1590).

Aufgabe des Zeugenbeistands ist es, den Zeugen während der Vernehmung bei der sachgerechten Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte, insbesondere von Auskunftsverweigerungsrechten gemäß § 55 StPO oder Zeugnisverweigerungsrechten nach §§ 52 ff StPO sowie bei der Verteidigung gegen Ordnungsmittel zu unterstützen. Darüber hinaus soll er bei Zeugen, die in ihrer Aussagefähigkeit beschränkt oder in ihrer Aussagebereitschaft gehemmt sind, dazu beitragen, Aussagefehler und Missverständnisse zu verhindern. Soweit er im vorliegenden Fall dem Zeugen bei der anstehenden Entscheidung behilflich ist, ob er im Hinblick auf § 55 StPO einzelne Fragen nicht beantwortet, muss die Entscheidung jeweils für die tatsächlich gestellte Frage getroffen werden und kann sich nicht danach richten, welche Fragen - aufgrund von Akteneinsicht - vorab als möglich angesehen werden. Zu der anstehenden Entscheidung muss der Beistand nicht den Inhalt der Sachakte kennen. Grundlage der Entscheidung ist vielmehr das Wissen oder die Einschätzung des Zeugen selbst, sich bei der wahrheitsgemäßen Beantwortung einer Verfolgung im Sinne von § 55 StPO auszusetzen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2806, 2807).

Die in der Literatur vertretene Ansicht, die ein Akteneinsichtsrecht des Zeugenbeistandes für den Fall fordert, dass anders wirksamer Beistand nicht möglich sei (vgl. KK-Senge, StPO 5. Aufl., Vorbemerkung § 48 Rdnr. 18a m.w.N. und § 68b Rdnr. 9), begegnet Bedenken.

Hiergegen spricht im vorliegenden Fall schon, dass diese Ansicht nicht auf das Verfahrensstadium abhebt, in dem ...

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