Leitsatz (amtlich)
Rückwirkende Bestellung eines Beistandes für Verletzten im Ermittlungsverfahren trotz Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, wenn Antrag früher gestellt und zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Bestellung vorlagen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 20.01.2005; Aktenzeichen 512 AR 9/04) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Verletzten, ..., wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 20. Januar 2005 aufgehoben. Der Beschwerdeführerin wird Frau Rechtsanwältin U. für das Vorverfahren als Beistand bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Die Beschwerdeführerin hat am 14. August 2003 angezeigt, am selben Tage zwischen um 1.30 und 2.00 Uhr in 13059 Berlin, Egon-Erwin-Kisch-Straße, von einem ihr unbekannten Mann in ein dortiges Gebüsch gestoßen und vergewaltigt worden zu sein. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2003 beantragte sie, ihr Frau Rechtsanwältin U. für das Vorverfahren als Beistand beizuordnen. Nachdem die Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren durch Bescheid vom 1. Juni 2004 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hatte und die Beschwerde der Verletzten durch Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 27. Juli 2004 verworfen worden war, hat das Landgericht ihren Beiordnungsantrag durch Beschluss vom 20. Januar 2005 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete, nach § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde der Verletzten hat Erfolg.
Nach § 406 g Abs. 1 StPO kann sich, wer nach § 395 StPO zum Anschluß als Nebenkläger befugt ist, auch schon vor Erhebung der öffentlichen Klage des Beistands eines Rechtsanwaltes bedienen, dessen Bestellung sich nach § 397a StPO richtet (§ 406g Abs. 3 StPO). Da ein Anfangsverdacht eines Verbrechens nach § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StPO bestand, der sich - was nicht zwingend erforderlich ist [vgl. LG Baden-Baden NStZ-RR 2000, 52] - gegen eine bestimmte Person richtete, lagen entgegen der Ansicht der Strafkammer die Voraussetzungen der Beiordnung zumindest zum Zeitpunkt der Antragstellung vor und dem Antrag hätte entsprochen werden müssen. Erst die nachfolgenden Ermittlungen, insbesondere die erneute Vernehmung der Verletzten am 14. Oktober 2003, zwei kriminaltechnische Untersuchungsaufträge vom selben Tage, die Vernehmung des Beschuldigten am 2. Dezember 2003, seiner Freundin, der Zeugin H., am 15. Januar 2004 und ein molekulargenetischer Vergleich seiner Speichelprobe mit einem Zigarettenrest am 24. März 2004 führten zur Einstellung des Verfahrens. Zwar ist in aller Regel eine Beiordnung nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens ebensowenig möglich wie die Beiordnung rückwirkende Kraft entfaltet, dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Wenn ein ordnungsgemäß angebrachter und zunächst auch begründeter Antrag nicht rechtzeitig beschieden worden ist, ist eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirkende Beiordnung auch noch später zulässig [vgl. Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 397a Rdn. 15]. So liegt der Fall hier, denn dem Antrag hätte bereits im Herbst 2003 entsprochen werden können, so dass die Untätigkeit nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen kann.
Ihr war daher - wie geschehen - Frau Rechtsanwältin U. für das Vorverfahren als Beistand beizuordnen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Fundstellen