Entscheidungsstichwort (Thema)
Überholverbote schützen nicht den aus einer nachrangigen Strasse einfahrenden Verkehrsteilnehmer
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 58 O 31/07) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten hat nach vorläufiger Prüfung durch den Senat gem. § 522 Abs. 2 ZPO teilweise Aussicht auf Erfolg.
Beide Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den nachfolgend dargelegten Erwägungen sowie dem Vergleichsvorschlag binnen drei Wochen.
Gründe
Die Berufung dürfte teilweise Aussicht auf Erfolg haben.
Zwar dürften - mit vom LG abweichender Begründung - die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten für Schäden des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 7.7.2006 im Bereich der Einmündung der Scharounstraße in die Potsdamer Straße in Berlin vorliegen.
Es kommt jedoch eher eine Haftung der Beklagten für die Unfallschäden des Klägers nach einer Quote von ½ in Betracht, nicht - wie zuerkannt - nach einer Quote von ¾ (I.).
Daher wird eine vergleichsweise Regelung vorgeschlagen (II.).
I.1. Die Beweiswürdigung durch das LG ist entgegen der Auffassung des Beklagten formell und inhaltlich nicht zu beanstanden.
Der Senat teilt vielmehr die vom LG nach Vernehmung der Zeugen E, F, Ha und Hi erlangte Gewissheit, dass der Beklagte zu 1) mit seinem BMW auf der Potsdamer Straße vor der Kollision zunächst zwei an zwei Fahrzeugkolonnen auf dem Linksabbiegerfahrstreifen vorbeigefahren und bei dem Versuch, von dort wieder nach rechts in den geradeaus führenden Fahrstreifen einzufahren, mit dem Bus kollidiert ist.
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen.
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rz. 13). Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat.
b) An diese Vorgaben hat sich das LG gehalten. Es hat auf S. 4 bis 6 UA die jeweils entscheidungserheblichen Aussagen der genannten Zeugen kurz wiedergegeben, erläutert, dass und warum sie der Entscheidung zugrunde gelegt werden und wo Zweifel verbleiben, hat die Aussagen zueinander in Beziehung gesetzt und daraus Schlüsse für den Unfallhergang gezogen. Damit sind die vorbeschriebenen Anforderungen erfüllt.
Veranlassung zu einer vom LG abweichenden inhaltlichen Würdigung der Zeugenaussagen im Sinne der Beklagten besteht unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens nicht. Der Senat folgt der insbesondere auf die Aussagen der Zeugen E (Busfahrer) und Ha (Buspassagier) gestützten Würdigung, nach der sich der BMW zunächst auf der Linksabbiegerspur befand, bevor sich die Kollision ereignet hat. Der abweichenden Darstellung des Zeugen F (Autofahrer hinter dem Beklagtenfahrzeug) schließt er sich nicht an.
2. Zutreffend geht das LG auf Grundlage der unstreitigen und durch Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen davon aus, dass gegen den Kläger der Beweis des ersten Anscheins spricht. Dessen vom Zeugen E geführter Reisebus ist unstreitig aus der nachrangigen Scharounstraße in die vorfahrtberechtigte Potsdamer Straße eingefahren, wo es zur Kollision mit dem dort aus Richtung des Potsdamer Platzes kommenden BMW des Beklagten zu 1) gekommen ist. Erfahrungsgemäß beruhen derartige Kollisionen auf einem Verstoß desjenigen, der die Vorfahrt zu beachten hat, gegen seine Sorgfaltspflichten aus § 8 Abs. 2 StVO mit der Folge, dass die Betriebsgefahr des Berechtigten gegenüber diesem Verschulden bei der Bemessung einer Haftungsquote in der Regel zurücktritt (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. 2007, § 8 StVO, Rz. 68, 69 m.w.N.).
a) Entgegen der Auffassung des LG ist dieser Anschein unfallursächlichen Verschuldens nicht durch die Beweisaufnahme "weitgehend" (S. 4 UA) widerlegt worden.
Das stößt schon im rechtlichen Ansatz auf Bedenken.
Der erfahrungsgestützte Schluss von den äußeren ...