Leitsatz (amtlich)

Nur wenn die Aufklärungspflicht des Gerichts die persönliche Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung erfordert, ist die Ablehnung eines Antrages des Betroffenen, ihn von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu entbinden, gerechtfertigt.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 19.06.2012; Aktenzeichen 290 OWi 367/12)

 

Tenor

Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Juni 2012 zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde wird das genannte Urteil aufgehoben. die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 80,00 Euro verhängt. Dem Bußgeldbescheid lag als Beweismittel ein von einer stationären Geschwindigkeitsmessanlage gefertigtes Frontfoto, das den Pkw und dessen Fahrer zeigte, zugrunde. Noch vor Zustellung des Bußgeldbescheids an den Verteidiger des Betroffenen teilte dieser mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2011 dem Polizeipräsidenten in Berlin mit, zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit habe Herr Olaf K., ein Mitarbeiter in der polnischen Niederlassung des Betroffenen, das Fahrzeug geführt. Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung durch den Verteidiger des Betroffenen wies das Amtsgericht im Rahmen der Terminsanberaumung den Betroffenen und seinen Verteidiger darauf hin, nach einem Vergleich der Tatfotos mit einem bei den Akten befindlichen Lichtbild des Betroffenen würde es diesem empfehlen, seine Einlassung vom 28. Dezember 2011 nicht aufrecht zu erhalten. Mit Verteidigerschriftsatz vom 5. Juni 2012 teilte der Betroffene dem Gericht mit, dass er nach nochmaliger Prüfung nunmehr ausdrücklich einräume, der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen zu sein, und seine Einlassung im Schriftsatz vom 28. Dezember 2011 nicht mehr aufrechterhalte. Außerdem bestritt er den ihm zur Last gelegten Verstoß und machte zahlreiche Einwendungen gegen die erfolgte Geschwindigkeitsmessung geltend, regte die Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG, hilfsweise - mit seinem ausdrücklichen Einverständnis zu dieser Verfahrensweise -die Verhängung einer Geldbuße von maximal 35,00 Euro im schriftlichen Verfahren an und kündigte für den Fall der Aufrechterhaltung des Hauptverhandlungstermins zum Beweis einer maximalen Geschwindigkeit des Pkw von 80 km/h und eines Verstoßes gegen die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts sowie die Eichrichtlinien die Beantragung der Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Außerdem beantragte er für den Fall der Aufrechterhaltung des Hauptverhandlungstermins, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Er räume ausdrücklich ein, das Fahrzeug zur Tatzeit geführt zu haben und werde in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache tätigen. Mit Beschluss vom 6. Juni 2012 lehnte das Amtsgericht den Entbindungsantrag mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG seien nicht gegeben. Der Betroffene habe seinen Verteidiger unter dem 28. Dezember 2012 behaupten lassen, Fahrer des Tatfahrzeugs sei Herr Olaf K. gewesen. Nun lasse der Betroffene seinen Verteidiger unter dem 5. Juni 2012 mitteilen, er räume ein, doch selbst das Fahrzeug geführt zu haben. Das Gericht wolle sich angesichts des widersprüchlichen Einlassungsverhaltens nun selbst ein Bild davon verschaffen, ob es der Betroffene sei, der auf den bei der Akte befindlichen Belegfotos abgebildet und ob er also als Fahrer identifizierbar sei. Mit bei Gericht am 13. Juni 2012 eingegangenem undatiertem Schreiben beantragte der Betroffene erneut seine Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Hauptverhandlungstermin, erklärte, dass er nach Überprüfung seiner persönlichen Aufzeichnungen festgestellt habe, dass nicht Herr Olaf K. zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt habe, sondern er die Fahrt persönlich unternommen habe. Über die Bestätigung der Fahrereigenschaft hinaus werde er in dem bereits anberaumten Verhandlungstermin keine weiteren Angaben machen. Mit lediglich an den Verteidiger des Betroffenen gerichtetem Schreiben vom 15. Juni 2012 teilte das Gericht mit, dass es bei dem anberaumten Termin verbleibe und über den Antrag des Betroffenen, ihn von seiner Erscheinungspflicht zu entbinden, bereits entschieden worden sei. Zum Hauptverhandlungstermin am 19. Juni 2012 war in Untervollmacht für den Verteidiger des Betroffenen eine Rechtsanwältin erschienen, nicht jedoch der Betroffene. Den von der Verteidigerin im Hauptverhandlungstermin erneut gestellten Antrag, den Betroffenen von seiner Pflicht zum Erscheinen zu entbinden, lehnte das Gericht mit der Begründung ab, es verweise auf die Gründe seines Beschlus...

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