Leitsatz (amtlich)
1. Im Verfahren zur Rückführung eines entführten Kindes nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen (HKÜ) kann Vollstreckungsschutz nach Maßgabe von § 44 Abs. 3 Satz 2 IntFamRVG gewährt werden.
2. Eine Aussetzung der Vollstreckung der Entscheidung, das entführte Kind zurückzuführen, kommt nur in Betracht, wenn sich die Verhältnisse seit Erlass der Rückführungsentscheidung in einem solchen Ausmaß geändert haben, das nunmehr in unvorhersehbarer Weise die Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 1 HKÜ vorliegen.
Verfahrensgang
AG Pankow/Weißensee (FamG) (Aktenzeichen 14 F 4043/21) |
Tenor
Der Antrag der Mutter vom 8. Oktober 2021, von der Vollstreckung des Rückführungsbeschlusses des Amtsgerichts Pankow vom 20. August 2021 - 14 F 4043/21 - abzusehen, wird zurückgewiesen.
Gerichtliche Kosten für das Vollstreckungsverfahren werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Vollstreckungsverfahrens trägt die Mutter.
Gründe
I. Das Familiengericht hat die Mutter mit Beschluss vom 20. August 2021 verpflichtet, den gemeinsamen Sohn der Beteiligten innerhalb von einer Woche seit Rechtskraft des Beschlusses in die Russische Föderation zurückzuführen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diesen Beschluss verwiesen. Die von der Mutter gegen diesen Beschluss angebrachte Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 4. Oktober 2021 zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluss Bezug genommen. Im Senatstermin vom 30. September 2021 haben die Eltern sich "für den Fall der Zurückweisung der Beschwerde" - dieser Fall ist eingetreten - dahingehend geeinigt, dass die Mutter den gemeinsamen Sohn der Beteiligten dem Vater am Samstag, den 9. Oktober 2021 um 12:00 Uhr an einem näher bezeichneten, bestimmten Platz übergibt und dem Vater zusätzlich den Reisepass des Jungen aushändigt.
Die Mutter begehrt mit Antrag vom 8. Oktober 2021 Vollstreckungsschutz; sie will, dass die Vollziehung der Rückgabeanordnung ausgesetzt wird. Sie macht u.a. geltend, dass das Kind bereits psychisch sehr stark beeinträchtigt wäre. Durch die Rückführung des Kindes nach M. allein mit dem Vater ginge eine erhebliche Gefährdung des Wohles des Jungen aus. Der Junge habe sich an einen Sozialarbeiter gewandt und erklärt, auf keinen Fall zum Vater oder nach M. zu wollen, sondern bei der Mutter bleiben zu wollen. Er habe große Angst davor, die Mutter nicht mehr zu sehen. Sie legt ein Attest eines Kinderarztes vom 8. Oktober 2021 vor, wonach der Junge derzeit unter einer Ticstörung, einem Schwächezustand und nicht näher ausgeführten psychischen Störungen leide. Aus ärztlicher Sicht sei von einer Reise des Kindes abzuraten, um seinen Zustand nicht zu verschlimmern.
II. 1. Der Antrag der Mutter ist zulässig: Das ergibt sich aus § 44 Abs. 2 IntFamRVG, dem deutschen Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen (im Folgenden auch HKÜ). Dieser Bestimmung zufolge ist für die Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen das Oberlandesgericht zuständig, sofern es die Rückführungsanordnung für vollstreckbar erklärt, erlassen oder bestätigt hat. Das ist hier der Fall; der Senat hat den Beschluss des Familiengerichts Pankow vom 20. August 2021 bestätigt und die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter nach mündlicher Anhörung der Beteiligten zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Mutter ist indessen nicht begründet:
a) § 44 Abs. 3 IntFamRVG bestimmt, dass, wenn ein entführtes Kind zurückzuführen ist, das Gericht die Vollstreckung von Amts wegen durchzuführen hat. Hiervon soll das Gericht auf Antrag der berechtigten Person absehen.
b) Die förmlichen Voraussetzungen hierfür liegen vor: Der durch den Senatsbeschluss bestätigte Beschluss des Familiengerichts vom 20. August 2021 ist ein Vollstreckungstitel im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, der gemäß § 86 Abs. 2 FamFG, 40 Abs. 1, 2 IntFamRVG wirksam und vollstreckbar ist, da gegen den Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2021 kein weiteres Rechtsmittel statthaft ist.
c) Dem Antrag der Mutter ist gleichwohl nicht stattzugeben: Eine Aussetzung der Vollstreckung nach § 44 Abs. 3 Satz 2 IntFamRVG kommt nur in Betracht, wenn sich die Verhältnisse seit der Rückgabeentscheidung in einem solchen Ausmaß - gravierend - geändert haben, das nunmehr in unvorhersehbarer Weise die Voraussetzungen des Art. 13 HKÜ vorliegen; insbesondere, weil die Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbaren sind (vgl. Erb-Klünemann, in: Nomos Kommentar BGB AT [4. Aufl. 2021], Art. 2 HKÜ Rn. 23 [Fn. 48 und Text]).
Derartiges ist hier offensichtlich nicht gegeben: Mit dem Vollstreckungsantrag vom 8. Oktober 2021 beschränkt sich die Mutter auf eine Wiederholung ihrer Argumentation aus der Anhörung durch den Senat vom 30. September 2021. Sie bringt keine neuen, entscheidenden Gesichtspunkte vor, die nicht schon im Senatstermin bekannt und ausführlich erörtert worden wären. Das gilt auch f...