Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 154a Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft aus dem Prozessstoff ausgeschiedene Gesetzesverletzungen können eine Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer nicht begründen. Selbst wenn eine Wiedereinbeziehung nach § 154a Abs. 3 StPO denkbar erscheint, hängt davon die gerichtliche Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung nicht ab.
2. Wer gegenüber den Zahlern nur zum Schein als Zahlungsdienstleister auftritt, tatsächlich aber als Beteiligter an einem Betrug zum Nachteil der Zahler den beauftragten Zahlungsdienst nicht erbringen will, betreibt kein erlaubnispflichtiges Finanztransfergeschäft.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 24.06.2021; Aktenzeichen (519 KLs) 241 Js 848/17 (3/21)) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 24. Juni 2021 wird verworfen.
2. Die Landeskasse Berlin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe
1. Mit ihrer zum Landgericht Berlin - Wirtschaftsstrafkammer - erhobenen Anklageschrift vom 21. Mai 2021 legt die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug in 17 Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in weiterer Tateinheit mit unerlaubtem Erbringen von Zahlungsdiensten zur Last. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, mit unbekannt gebliebenen Personen spätestens im Dezember 2018 übereingekommen zu sein, deren Betrugstaten zu unterstützen, die darin bestanden haben sollen, Anlagewillige unter Vorspiegelung von Renditemöglichkeiten dazu zu bewegen, auf - tatsächlich nicht existierenden - Online-Handelsplattformen Geld in den Handel unter anderem mit derivativen Finanzinstrumenten wie Differenzkontrakten oder in Termingeschäfte - etwa binäre Optionen - zu investieren und dazu Gelder auf ihnen von vermeintlichen Mitarbeitern dieser Handelsplattformen genannten Konten, als deren Inhaber nicht die Betreibergesellschaften der Handelsplattformen, sondern andere Gesellschaften bezeichnet waren, zu überweisen oder per Kreditkartenabbuchung zukommen zu lassen. Die so erlangten Gelder seien nicht angelegt, sondern von den Betrügern für eigene Zwecke vereinnahmt worden. Der Angeklagte habe dies dadurch unterstützt, dass er Konten für die eingehenden Gelder bereit gestellt habe, indem er mehrere andere Personen, die er hierfür mit falschen Ausweisen ausgestattet habe, dazu veranlasst habe, insgesamt 17 Gesellschaften zu gründen bzw. bestehende zu übernehmen, um sodann Geschäftskonten für diese zu eröffnen bzw. zu übernehmen und ihm die entsprechenden Unterlagen und Zahlungskarten zu übergeben, so dass er sich die tatsächliche Verfügungsgewalt über diese Konten habe verschaffen können. Die auf diesen eingegangenen Geldbeträge habe er absprachegemäß auf im Ausland geführte Konten anderer Scheinfirmen überwiesen, um diese letztlich seinen Tatgenossen zukommen zu lassen, nicht ohne wie vereinbart jeweils einen Anteil als Gegenleistung für seine Mitwirkung einzubehalten. Auf diese Weise sollen in der Zeit von Januar bis September 2019 Überweisungsgutschriften in Höhe von insgesamt 6.566.329,59 Euro eingegangen sein, wovon er 5.587.751,78 Euro transferiert haben soll.
Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe und des Ermittlungsergebnisses nimmt der Senat auf den Inhalt der am 28. Mai 2021 bei dem Landgericht Berlin eingegangenen Anklageschrift Bezug. Der Angeklagte ist in dieser Sache am 18. Februar 2021 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Februar 2021 - (349 Gs) 241 Js 848/17 (502/21) - festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag in Untersuchungshaft.
2. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die 19. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Berlin die Anklage unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor der allgemeinen großen Strafkammer eröffnet.
Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass ihre Zuständigkeit nicht aus § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6a) GVG folge, weil es zur Beurteilung der Tatvorwürfe keiner besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens bedürfe. Da es die angegebenen Finanzprodukte nicht gegeben habe und die erlangten Gelder nicht für den Handel mit solchen eingesetzt worden seien, komme es auf deren spezifische Funktionsweisen, Strukturen und Marktmechanismen nicht an. Vielmehr seien in wirtschaftlicher Hinsicht lediglich die Zu- und Abflüsse auf den beteiligten Konten zu beurteilen.
Ferner meint sie, eine Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer folge nicht aus § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG, da der Angeklagte nicht eines Vergehens des vorsätzlichen Erbringens von Zahlungsdiensten ohne Erlaubnis nach §§ 63 Abs. 1 Nr. 4, 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG verdächtig sei. Der Empfang der Investorengelder auf den seinem Zugriff unterliegenden Geschäftskonten und deren Weiterleitung sei nicht als Finanztransfergeschäft nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG als einzig in Betracht kommendem erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst anzusehen. Denn ...