Leitsatz (amtlich)
1. a) Eine vom Familiengericht erklärte Ablehnung, von Amts wegen familiengerichtliche Maßnahmen zu ergreifen, ist (von Sonder- und Ausnahmefällen abgesehen) regelmäßig für denjenigen, der entsprechend § 24 Abs. 1 FamFG lediglich anregt, dass entsprechende familiengerichtliche Maßnahmen getroffen werden sollen, nicht anfechtbar. Das gilt auch für ein Jugendamt, zumal das Jugendamt durch das Unterlassen von familiengerichtlichen Maßnahmen materiell nicht betroffen ist, so dass es daraus auch keine Beschwerdebefugnis herleiten kann.
b) Die besondere Beschwerdebefugnis des Jugendamtes nach §§ 59 Abs. 3, 162 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist letztlich Ausfluss des dem Jugendamt übertragenen staatlichen Wächteramtes, so dass das Jugendamt, sobald eine familiengerichtliche Entscheidung nach dessen fachlicher Einschätzung mit dem Wohl des Kindes nicht zu vereinbaren ist, nach Beitritt zum Verfahren berechtigt ist, Beschwerde zu führen. Im Interesse einer effektiven Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes ist die Beschwerdebefugnis des Jugendamtes nicht kleinlich, sondern weit zu dimensionieren.
2. Es ist nicht Aufgabe eines Familiengerichts, zwischen verschiedenen pädagogischen Konzepten oder fachlichen Differenzen und gravierenden Kommunikationsproblemen von zwei Fachdienststellen - einem freien Träger der Jugendhilfe sowie dem Jugendamt - zu vermitteln oder gar deren fachlichen Disput zu entscheiden, solange dieser das Wohl des Kindes nicht berührt. Auch in derartigen Fällen entscheidet das Familiengericht vielmehr allein und ausschließlich nach rechtlichen Maßstäben, insbesondere nach den Vorgaben der §§ 1804 Abs. 1 Nr. 1, 1813, 1666, 1696 BGB.
3. a) Eine Geschwistertrennung ist nicht nur im Rahmen einer Sorgerechtsregelung, sondern auch bei der Entscheidung über einen Wechsel der Pflegestelle grundsätzlich zu vermeiden, soweit hierfür nicht belastbare Gründe streiten und eine Gefährdung des Kindeswohls mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
b) Da dem Wohl des Kindes mit möglichst einheitlichen, gleichmäßigen und stabilen Erziehungsverhältnissen und ebensolchen äußeren Umständen regelmäßig am besten gedient ist, darf das darin zum Ausdruck kommende "Kontinuitätsprinzip" nicht gegen den Gesichtspunkt einer (im Wesentlichen erst herzustellenden) Geschwisterbindung "ausgespielt" und ein Kind im Interesse der "Geschwisterzusammenführung" aus einer Pflegestelle herausgenommen werden, wenn das Kind in der Pflegestelle praktisch seit seiner Geburt lebt, die Pflegemutter als seine soziale Mutter ansieht und auch sonst keinerlei "Mängel" in der Betreuung und Versorgung des Kindes in der Pflegestelle ersichtlich sind.
4. Dem Verfahrensbeistand obliegt es in erster Linie, die Interessen des Kindes festzustellen und im familiengerichtlichen Verfahren geltend zu machen, aber regelmäßig nicht, sich zu eindeutig jugendhilferechtlichen Fragestellungen zu positionieren, die nicht die Person des Kindes oder dessen Wohl, sondern allein verfahrensrechtliche Aspekte des vom Jugendamt geführten Hilfeplanverfahrens im Falle einer Vollzeitpflege bzw. Heimerziehung nach §§ 33, 34 SGB VIII betreffen.
5. Die Gerichtskostenfreiheit einer öffentlichen Kasse nach § 2 FamGKG erstreckt sich nicht auf die Verpflichtung, ggf. die außergerichtlichen Kosten eines anderen Beteiligten erstatten zu müssen.
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 85 F 115/23) |
Tenor
Die Beschwerde des Jugendamts des Landkreises B., E., gegen Ziff. 3 des am 23. August 2023 erlassenen Beschlusses des Amtsgerichts Schöneberg - 85 F 115/23 - wird zurückgewiesen.
Gerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von 4.000 EUR trägt das Jugendamt des Landkreises B..
Gründe
I. Das Jugendamt B., der aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts der Mutter in einem Asylbewerberheim im Landkreis B. nach §§ 50 Abs. 1, 86 SGB VIII örtlich zuständige Träger der Jugendhilfe für die Gewährung von Hilfen nach dem SGB VIII und zur Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren, wendet sich dagegen, dass das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung von der Anordnung von weitergehenden familiengerichtlichen Maßnahmen abgesehen hat (Beschluss vom 23. August 2023, Ziff. 3) und der Anregung des Jugendamtes B. nicht nachgekommen ist, den Personensorgepfleger anzuweisen, den Aufenthalt des betroffenen Mündels in der Pflege- und Erziehungsstelle 'D.', in der das heute über vier Jahre alte Mündel mehr oder weniger von Geburt an, seit seinem dritten Lebensmonat, lebt, zu beenden und das Kind in einer Einrichtung der stationären Jugendhilfe - in einem Heim des E. "Kinder- und Jugendhilfezentrum N." im G. in . B.-N. - unterzubringen, in dem bereits vier Geschwisterkinder des Mündels leben.
Zur Begründung, weshalb dem auf §§ 1802 Abs. 2 Satz 3, 1666 Abs. 2 Nr. 5 BGB - ergänzend auch auf §§ 1813 Abs. 1, 1804 Abs. 1 Nr. 1 BGB - gestützten Ansinnen des Jugendamtes B. nicht zu fol...