Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Verlegung eines Hauptverhandlungstermins auf einen Zeitpunkt nach Haftentlassung des Angeklagten zur Vermeidung einer ansonsten notwendigen Verteidigerbestellung ist unzulässig
Leitsatz (amtlich)
1. Zur (eingeschränkten) Zulässigkeit von Beschwerden gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden.
2. Die Verlegung eines Termins auf einen Zeitpunkt nach Entlassung des Angeklagten aus Haft in anderer Sache (allein) zur Vermeidung der ansonsten nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO notwendigen Verteidigerbestellung ist ermessensfehlerhaft.
Normenkette
StPO § 140 Abs. 1 Nr. 5, § 305 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen (561 Ns) 236 AR 185/16 (89/16)) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird festgestellt, dass die durch den Vertreter des Vorsitzenden der Strafkammer 61 des Landgerichts Berlin am 2. November 2016 verfügte Aufhebung des auf den 4. Januar 2017 anberaumten Termins zur Durchführung der Berufungshauptverhandlung rechtswidrig war.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Gegen den Beschwerdeführer ist seit dem 31. Mai 2016 das Berufungsverfahren bei der Strafkammer 61 des Landgerichts Berlin anhängig. Mit Verfügung vom 3. Juni 2016 beraumte der ordentliche Kammervorsitzende den Hauptverhandlungstermin auf den 4. Januar 2017 an. In der Folgezeit wurde bekannt, dass der Angeklagte in der Justizvollzugsanstalt D. inhaftiert ist, worauf der Vorsitzende unter dem 26. August 2016 dessen Vor- und Rückführung aus dieser Anstalt anordnete (was die Geschäftsstelle indessen bereits mit Verfügung vom 28. Juli 2016 eigenständig erledigt hatte).
Nachdem der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Oktober 2016 unter Beifügung einer Haftbescheinigung, die seine Inhaftierung vom 10. Juni 2016 bis voraussichtlich zum 25. Februar 2017 ausweist, die Beiordnung eines Verteidigers beantragt hatte, gewährte der ordentliche Kammervorsitzende der Staatsanwaltschaft Berlin mit Verfügung vom 25. Oktober 2016 die Gelegenheit, zu diesem Antrag Stellung zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich unter dem 28. Oktober 2016 dahin, dass "zu gegebener Zeit" die Haftverhältnisse zu prüfen und sodann über die Beiordnung zu entscheiden sei.
Mit diesem Verfahrensstand lagen die Akten am 2. November 2016 dem Dezernatsvertreter vor. Dieser verfügte "zur Ersparung von Kosten für einen andernfalls notwendigen Verteidiger" die Aufhebung des Termins vom 4. Januar 2017, ließ die Staatsanwaltschaft davon in Kenntnis setzen, dass ein neuer Termin "nach Haftentlassung des Angeklagten" anberaumt werde, und bestimmte eine Frist zur Widervorlage der Sache von drei Monaten.
Gegen die Terminsaufhebung wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 18. November 2016. Das Rechtsmittel führt zu dem aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Ausspruch.
1. Die Beschwerde ist zulässig. § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO steht der Anfechtung nicht entgegen. Zwar unterliegen nach dieser Vorschrift Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen, insbesondere auch Terminsverfügungen des Vorsitzenden, grundsätzlich nicht der Beschwerde. Damit sind aber nur solche Entscheidungen gemeint, die im inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (OLG Frankfurt StV 1990, 201; OLG Braunschweig StraFo 1996, 59 mwN). Maßnahmen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben selbständig anfechtbar. Überprüfbar ist im Rahmen einer Terminsverfügung aber nur die Frage, ob der Vorsitzende sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt und dadurch eine selbständige Beschwer für Prozessbeteiligte bewirkt hat, dagegen nicht die Zweckmäßigkeit einer Terminsbestimmung (vgl. OLG Braunschweig aaO.; s. auch Senat, Beschluss vom 5. Juni 2001 - 4 Ws 80/01 - mwN).
Bei der dem Vorsitzenden obliegenden Prüfung hat dieser sämtliche Gesichtspunkte erkennbar in Betracht zu ziehen und sachgerecht zu gewichten, die für die Abwägung der Interessen aller Prozessbeteiligten mit den Interessen der Strafrechtspflege bedeutsam sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 4 Ws 28/13 - mwN). Insbesondere hat er den im Strafverfahren im Allgemeinen, nicht nur in Untersuchungshaftfällen, geltenden Beschleunigungsgrundsatz (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) zu beachten, der nicht nur dem Schutz des Angeklagten dient, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt (vgl. dazu näher OLG Braunschweig aaO.; Senat, Beschluss vom 5. Juni 2001 - 4 Ws 80/01 -, jeweils mwN).
Hiernach war die vorliegende bloße Aufhebung des Termins zur Berufungshauptverhandlung, die ausschließlich der Vermeidung der in der gegebenen Verfahrenslage von Gesetzes wegen gebotenen Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO) ...