Leitsatz (amtlich)
1. Die nach § 57 Abs. 3 Satz 1 StGB i.V.m. §§ 56a bis 56d StGB zu treffenden Entscheidungen unterliegen der Prüfung durch das Beschwerdegericht nur darauf, ob sie gesetzwidrig sind. Es ist dem Beschwerdegericht daher grundsätzlich verwehrt, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Strafvollstreckungskammer zu setzen. Es hat jedoch eine eigene Sachentscheidung zu treffen, wenn auf Grundlage der tatsächlichen Umstände die (erneute) Anordnung der beanstandeten Weisung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gesetzmäßig wäre.
2. Die auf § 56c Abs. 2 Nr. 1 StGB gestützte Weisung, sich im Fall der Erwerbslosigkeit unverzüglich – spätestens binnen einer Woche – bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden, verstößt gegen das Übermaßverbot, wenn der Betroffene bereits das Rentenalter erreicht hat.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 24.09.2020; Aktenzeichen 599 StVK 83/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 24. September 2020 hinsichtlich seiner Ziffer 5 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.
Gründe
I.
Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 8. April 2016 wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Die Strafe wurde seit dem 3. Dezember 2018 vollstreckt. Das Strafende war - unter Anrechnung von Untersuchungshaft - auf den 17. November 2020 notiert.
Mit Beschluss vom 24. September 2020 setzte das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - die Reststrafe ab dem 2. Oktober 2020 zur Bewährung aus und wies den Verurteilten unter anderem unter Ziffer 5 der Entscheidungsformel an, sich im Fall der Erwerbslosigkeit unverzüglich - spätestens binnen einer Woche - bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassenen Stelle zu melden.
Allein gegen diese Weisung wendet sich der Verurteilte mit seiner "sofortigen Beschwerde" vom 5. Oktober 2020. Zur Begründung verweist er darauf, bereits das Renteneintrittsalter erreicht zu haben.
II.
1. Das als sofortige Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist gemäß § 300 StPO als (einfache) Beschwerde (§§ 454 Abs. 4 Satz 1, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu behandeln, da der Beschwerdeführer mit ihm lediglich eine der zur Ausgestaltung der Bewährung erteilten Weisungen angreift.
2. Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
a) Die nach § 57 Abs. 3 Satz 1 StGB i.V.m. §§ 56a bis 56d StGB zu treffenden Entscheidungen unterliegen der Prüfung durch das Beschwerdegericht nur darauf, ob sie gesetzwidrig sind (§§ 454 Abs. 4 Satz 1, 453 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dies ist dann der Fall, wenn die getroffene Anordnung im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig, unbestimmt oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (std. Rspr.; OLG Hamm, Beschluss vom 19. März 2009 - 2 Ws 40/09 - juris Rn. 7; OLG Dresden, Beschluss vom 30. September 2009 - 2 Ws 458/09 - juris Rn. 5; Senat, Beschluss vom 10. August 2018 - 5 Ws 126/18 - juris Rn. 9 m.w.N.).
b) Diesen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt, begegnet die beanstandete Weisung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Zwar ist eine Weisung wie in Ziffer 5 des angefochtenen Beschlusses festgelegt grundsätzlich gemäß §§ 57 Abs. 3 Satz 1, 56c Abs. 2 Nr. 1 StGB zulässig. Denn sie bezweckt die Resozialisierung des Verurteilten durch Förderung geregelter Arbeit. Es soll präventiv ein Beitrag zur Vermeidung der Gefahr gewährleistet werden, dass die verurteilte Person durch Verlust der Arbeit mittellos wird und aufgrund dessen eine kriminelle Gefährdung eintritt (Groß/Ruderich in: Münchener Kommentar, StGB 4. Aufl., § 68b Rn. 21). Die Meldeweisung verstößt aber gegen das Übermaßverbot, wenn der Verurteilte bereits das Rentenalter erreicht hat. Gemäß § 136 Abs. 2 SGB III entfällt bei Erreichen der Regelaltersgrenze mit Beginn des Folgemonats der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Mit Erlöschen des Anspruchs auf Versicherungsleistungen nach dem SGB III entfällt zugleich die sozialrechtliche Pflicht, sich den Vermittlungsbemühungen der Bundeagentur für Arbeit zur Verfügung stellen, da sie nur für Personen gilt, die im Leistungsbezug stehen (vgl. § 309 Abs. 1 und 2 SGB III). Selbst wenn die Bundesagentur für Arbeit Vermittlungsangebote auch für Personen oberhalb der Regelaltersgrenze bereithielte, wäre es grundsätzlich unverhältnismäßig, einen ins Rentenalter eingetretenen Verurteilten jenseits sozialrechtlicher Bestimmungen im Rahmen strafvollstreckungsrechtlicher Anordnungen mit der Pflicht zu belegen, sich zum Zwecke der Arbeitsvermittlung bei der zuständigen Stelle zu melden.
bb) Nach diesen Maßstäben kann die beanstandete Weisung auch im konkreten Fall keinen Bestand haben. Der am 4. November...