Leitsatz (amtlich)

1. Die Auslegung, ob Art. 22 Nr. 2 EuGVVO auch dann Anwendung findet, wenn die Gesellschaft oder juristische Person gegen ihre Inanspruchnahme einwendet, das dieser zugrunde liegende Rechtsgeschäft sei wegen eines Verstoßes gegen ihre Satzung unwirksam, ist dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV vorbehalten.

2. Art. 22 Nr. 2 EuGVVO enthält keine eindeutige Bestimmung dahin, dass die Wirksamkeit der Organbeschlüsse juristischer Personen des öffentlichen Rechts dann, wenn diese in einem Zivilrechtsstreit zu überprüfen sind, vom Anwendungsbereich des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO ausgeschlossen sind.

3. Die Frage, ob das zuletzt angerufene Gericht eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung auch dann zur Verfahrensaussetzung nach Art. 27 EuGVVO verpflichtet ist, wenn es nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO international zuständig wäre, ist nach Art. 267 AEUV ebenfalls dem Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 21 O 97/09)

 

Tenor

Das Beschwerdeverfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt:

a) Erstreckt sich der Anwendungsbereich von Art. 22 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) auch auf Rechtsstreitigkeiten, in denen eine Gesellschaft oder juristische Person ihrer Inanspruchnahme aus einem Rechtsgeschäft eine sich aus Satzungsverstößen ergebende Unwirksamkeit von Beschlüssen ihrer Organe, die zum Abschluss des Rechtsgeschäfts geführt haben, entgegen hält?

b) Findet, sofern die Frage zu a) bejaht wird, Art. 22 Nr. 2 EuGVVO auch Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, sofern die Wirksamkeit der Beschlüsse ihrer Organe von Zivilgerichten zu überprüfen ist?

c) Ist, sofern die Frage zu b) bejaht wird, das Gericht des in einem Rechtsstreit zuletzt angerufenen Mitgliedsstaates nach Art. 27 EuGVVO auch dann zur Aussetzung des Verfahrens verpflichtet, wenn gegenüber einer Gerichtsstandsvereinbarung geltend gemacht wird, diese sei auf Grund eines nach dem Statut einer Partei unwirksamen Beschlusses ihrer Organe ebenfalls unwirksam?

 

Gründe

I. Die Klägerin, eine juristische Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, die im Land Berlin Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs erbringt, streitet mit der Beklagten, einem mit Hauptsitz in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässigen, international tätigen Bank- und Finanzinstitut, über die Wirksamkeit einer zwischen den Parteien vereinbarten Collaterized Debt Obligation. Die Parteien haben dabei die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte im Wege einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 EuGVVO verabredet und zudem die Anwendbarkeit englischen Rechts vereinbart.

Die Londoner Niederlassung der Beklagten sowie die ... haben, vertreten durch die Niederlassung der Beklagten in London, Vereinigtes Königreich, vor dem High Court of Justice, Queen's Bench Division, Commercial Court in London, im Oktober 2008 eine Klage gegen die hiesige Klägerin erhoben, die dort zur Case No. 2008 Folio 1052 geführt wird. Gegenstand dieser Klage sind die Zahlung von 112.190.754,35 US$ oder Schadensersatz in dieser Höhe, Zinsen hierauf, sowie folgende Feststellungen (Declarations):

  • The Transaction, which was entered into by the First Claimant acting through its agent the Second Claimant, is valid, binding and enforceable in accordance with its terms, and/or a declaration that the Defendant's obligations under the Transaction Documents constitute its legal, valid and binding obligations which are enforceable in accordance with their respective terms; and or
  • the Transaction Documents constitute the entire agreement and understand of the parties with respect to the Transaction; and/or
  • in entering into the Transaction, the Defendant was acting for its own account and had made its own independent decisions to enter into the Transaction and as whether the Transaction was appropriate or proper for it based upon its own judgment and upon advice from such advisors as it has deemed necessary; and/or
  • in entering into the Transaction, the Defendant did not rely on any oral or written representation, warranty or other assurance (except as provided for or referred to in the Transaction Documents) and waived all rights and remedies which might otherwise be available to it in respect thereof (save in respect of fraud); and/or
  • in entering into the Transaction, the Defendant did not rely on any communication (written or oral) of the First Claimant (or the Second Claimant acting as agent for the First Claimant) as investment advice or as a recommendation to enter into the Transaction; and/or
  • no communication (written or oral)...

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