Leitsatz (amtlich)
1. Auch ein auf die Unwirksamerklärung eines Vertrages nach § 135 Abs. 1 GWB gerichtetes Nachprüfungsverfahren kann sich wegen der angestrebten Unwirksamerklärung erledigen, wenn sich das Vergabeverfahren im Sinne von § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt hat. Auf einen Antrag nach den §§ 168 Abs. 2 S. 2, 178 S. 3 GWB ist dann gegebenenfalls festzustellen, dass der Antragsteller durch den Vertragsschluss in seinen Rechten verletzt ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb liegen nicht vor, wenn der öffentliche Auftraggeber die die Dringlichkeit begründenden Umstände zu vertreten hat. Das gilt auch für Beschaffungen im Bereich der Daseinsvorsorge (hier: Einrichtung und Betrieb von Corona-Testzentren).
3. Ein Antrag des öffentlichen Auftraggebers, die Rechtswidrigkeit vorläufiger, von der Vergabekammer nach § 169 Abs. 3 GWB angeordneter Maßnahmen festzustellen, ist unstatthaft.
Normenkette
GWB § 135 Abs. 1, § 168 Abs. 2 S. 2, § 169 Abs. 3, § 178 S. 3; VgV § 14 Abs. 4 Nr. 3
Verfahrensgang
Vergabekammer Berlin (Beschluss vom 18.01.2022; Aktenzeichen VK-B1-52/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 1. Februar 2022 gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 1. Beschlussabteilung, vom 18. Januar 2022 - VK-B1-52/21 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich Ziffer 1 dieses Beschlusses erledigt hat.
Sein Antrag, die Beschlüsse der Vergabekammer vom 20. und 23. Dezember 2021 aufzuheben, wird als unzulässig verworfen.
Es wird festgestellt, dass die Direktvergabe des am 25. November 2021 zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossenen Vertrages "Interimsvergabe Einrichtung und Betrieb von stationären Testzentren mit flankierenden Dienstleistungen" (Dezember 2021), angezeigt durch eine Bekanntmachung vergebener Aufträge im EU-ABl. 2021/S 233-614456 vom 26. November 2021, rechtswidrig gewesen ist und die Antragstellerin durch die Direktvergabe in ihren Rechten verletzt ist.
Der Antragsgegner hat die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren zu tragen; eine Kostenerstattung findet im Übrigen nicht statt.
Der Streitwert wird auf 167.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen eine Interimsvergabe für den Betrieb von Corona-Testzentren in Berlin.
Die interimsweise vergebenen Leistungen waren bereits Gegenstand einer europaweiten Ausschreibung des Antragsgegners vom 20. September 2021 gewesen. In diesem offenen Vergabeverfahren hatte die Antragstellerin für die in zwei Lose aufgeteilten Leistungen jeweils fristgerecht Angebote abgegeben. Gegen die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene unter Ausschluss ihrer Angebote wandte sie sich nach erfolgloser Rüge vom 3. November 2021 mit Nachprüfungsantrag vom 12. November 2021.
Mit Verfügung vom 15. November 2021 leitete der Antragsgegner ein Verfahren über den interimsweisen Betrieb von zwölf Corona-Testzentren im Monat Dezember 2021 mit einer einmonatigen Verlängerungsoption ein. In einem Vermerk vom 16. Dezember 2021 hielt er fest, dass eine Interimsvergabe im offenen Verfahren zum Dezember 2021 zeitlich nicht möglich sei, weswegen die Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu erfolgen habe. In dem mit der Ausschreibung vom 20. September 2021 durchgeführten offenen Verfahren habe sich von den teilnehmenden Unternehmen nur die Beigeladene als geeignet erwiesen, so dass es sachgerecht sei, lediglich von ihr ein Angebot einzuholen. Nach Eingang eines entsprechenden Angebotes erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen am 25. November 2021 den Interimsauftrag. Dies rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 7. Dezember 2021, zurückgewiesen vom Antragsgegner mit Schreiben vom 9. Dezember 2021. Am 16. Dezember 2021 übte der Antragsgegner gegenüber der Beigeladenen die Verlängerungsoption für Januar 2022 aus.
Mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 16. Dezember 2021 hat sich die Antragstellerin gegen die Interimsvergabe gewandt und Anträge nach §169 Abs. 3 S. 1 GWB gestellt, dem Antragsgegner den weiteren Vollzug des interimsweise vergebenen Auftrags zu untersagen.
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2021 hat die Vergabekammer dem Antragsgegner untersagt, die in der Interimsbeauftragung vom 25. November 2021 enthaltene Verlängerungsoption zu beauftragen. Mit Beschluss vom 23. Dezember 2021 hat die Vergabekammer die Verlängerung der Interimsbeauftragung bis zur Entscheidung in der Hauptsache für unwirksam erklärt und dem Antragsgegner untersagt, die Interimsbeauftragung ab dem 1. Januar 2022 weiter durchzuführen.
Der Antragsgegner hat die Beigeladene am 31. Dezember 2021 ohne öffentliche Ausschreibung nach Einholung von drei Angeboten für den Januar 2022 mit einer einmonatigen Verlängerungsoption in einer weiteren Interimsvergabe mit dem Betrieb der zwölf Corona-Testzentren beauftragt. Hier...