Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweisung eines Verfahrens zum Umgangsrecht an ein ausländisches Gericht eines Mitgliedsstaates der EG
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung des FamG nach Art. 15 der EGVO Nr. 2201/2003 (Brüssel II a) - Verweisung des Verfahrens an das Gericht eines Mitgliedstaats, das den Fall besser beurteilen kann - ist nach § 19 FGG anfechtbar.
Die Verweisung ist die Ausnahme. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass der zu beurteilende Sachverhalt ausschließlich oder doch ganz überwiegend im Bereich der Zuständigkeit des auswärtigen Gerichts zu klären ist.
Normenkette
FGG § 19; EGVO Nr. 2201/2003 (Brüssel II a)
Verfahrensgang
AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg (Beschluss vom 03.05.2006; Aktenzeichen 178 F 15736/05) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des AG Tempelhof-Kreuzberg vom 3.5.2006 geändert:
Die Anträge des Vaters und des Tribunal de Grand Instance de Paris Abteilung B Büro 5 nach Art. 15 EGVO 2201/2003 werden zurückgewiesen.
Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Der Beschwerdewert wird auf 1.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Eltern und ... sind französische Staatsangehörige. Die elterliche Sorge steht den Eltern gemeinsam zu. Die Mutter lebt mit ... seit längerem (September 1999, spätestens seit 2001/Anfang 2002) in Berlin. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens vereinbarten die Eltern vor dem französischen FamG (Scheidungsurteil v. 28.6.2002 des Tribunal de Grande Instance Paris, Abteilung C, Kammer 6, Reg. Nr. 01/34644) die Umgangszeiten. Der Umgang fand in Paris in den Ferien statt.
Die Mutter hat wegen Problemen zwischen dem Vater und ..., die beim Umgang auftraten, die Aussetzung des Umgangs beantragt. Der Vater und das Pariser FamG (Beschluss v. 10.2.2006 des Tribunal de Grande Instance de Paris, Abt. B, Büro 5) haben nach Art. 15 EGVO 2201/2003 die "Verweisung" an das Pariser FamG beantragt.
Durch Beschluss vom 3.5.2006 - auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird - hat das AG das Verfahren über den Antrag auf Aussetzung des Umgangsrechts dem Pariser FamG übertragen. Zur Begründung hat es - im Wesentlichen entsprechend der Begründung des Pariser FamG - ausgeführt, dass die Gegebenheiten beim Vater in Paris und die streitigen Vorfälle und Behördenvorgänge dort besser durch das französische Gericht beurteilt werden könnten, im Falle erforderlicher Gutachten könne auf die Hilfe in Berlin ansässiger Gutachter zurückgegriffen werden.
Hiergegen wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, dass das AG eine Kindeswohlprüfung nicht vorgenommen habe, zumal es um die Aussetzung des Umgangs gehe. ... soziales Umfeld befinde sich in Berlin, er könne sich zwar französisch verständigen, sein emotionaler Sprachbereich sei jedoch ausschließlich deutsch geprägt. Eine Gutachtenerstellung in Frankreich würde ... unnötig belasten. Das Jugendamt sei Verfahrensbeteiligter, dessen Stellungnahme zu prüfen gewesen wäre.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Der Vater beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten neben Anlagen verwiesen.
Das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin ist schriftlich angehört worden, auf dessen Schreiben vom 24.5.2006 wird verwiesen.
II. Die Beschwerde ist nach § 19 FGG zulässig. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO, der die örtliche und sachliche Zuständigkeit inländischer Gerichte betrifft und nach dem Zuständigkeitsverweisungen unanfechtbar sind, ist im vorliegenden Fall nicht entsprechend anwendbar (vgl. allgemein Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 621a Rz. 11). Vielmehr ist die Frage der (internationalen) Zuständigkeit eines anderen Europäischen FamG und das Ersuchen an dieses, sich gem. Art. 15 EGVO 2201/2003 für zuständig zu erklären, mit der in § 46 FGG geregelten Abgabe eines VormG an ein anderes VormG vergleichbar und die dort geregelte Abgabe ist anfechtbar (Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., § 46 Rz. 12 zu b). Die vom Vater herangezogene Analogie zu § 280 Abs. 2 ZPO mit der Folge der dann gegebenen Zulässigkeit der befristeten Beschwerde nach § 621e ZPO trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Das AG hat nicht über seine Zuständigkeit im Wege eines bloßen Zwischenbeschlusses entschieden, um anschließend die Entscheidung zur Hauptsache zu treffen, sondern es hat das Verfahren dem französischen Gericht abschließend übertragen und derartige Fälle sind grundsätzlich in § 281 ZPO (analog) geregelt.
Die Voraussetzungen für ein Ersuchen an das französische Gericht liegen nicht vor. Schon der von Art. 15 Abs. 1 EGVO 2201/2003 neben dem Wohl des Kindes geforderte Ausnahmefall ist zu verneinen. Allein der Umstand, dass der Umgangsberechtigte in Frankreich lebt und das Kind in Deutschland, rechtfertigt nicht die Annahme eines Ausnahmefalls. Denn diese Voraussetzungen sind bereits bei der Frage der besonderen Bindung zu einem Mitgliedsstaat zu prüfen (Art. 15 Abs. 3 und 1 EG...