Leitsatz (amtlich)
Geht die vom Gläubiger eingereichte vollstreckbare Ausfertigung bei Gericht verloren, so ist die für die Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung nach GKG-KV 2110 angefallene Gebühr nach § 21 Abs. 1 GKG nicht zu erheben. Der Verlust im Verantwortungsbereich des Gerichts stellt eine unrichtige Sachbehandlung dar, auch wenn ein persönliches Verschulden nicht festzustellen ist.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 07.03.2007; Aktenzeichen 82 AR 18/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten vom 25.4.2007 gegen den Beschluss der Zivilkammer 82 des LG Berlin vom 7.3.2007 wird zurückgewiesen.
Gründe
1. Die Beschwerde ist zulässig, da sie vom LG zugelassen worden ist (§ 66 Abs. 2 Satz 2 GKG). Der Senat ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden (§ 66 Abs. 3 Satz 4 ZPO).
2. a) In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Der Senat folgt dem LG darin, dass die nach KV 2110 GKG angefallene Gebühr für die Erteilung einer zweiten vollstreckbaren Ausfertigung (§ 733 ZPO) nach § 21 Abs. 1 GKG nicht zu erheben ist. Eine unrichtige Sachbehandlung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ist gegeben, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat und dies offen zu Tage tritt oder wenn dem Gericht ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist (BGH NJW 1962, 2107; BfH/NV 2005, 2012 f.; Beschl. v. 21.8.2006 - VE 1/06 - juris). Allerdings kommt eine Nichterhebung nur bei unrichtiger Sachbehandlung durch Angehörige der staatlichen Rechtspflege in Betracht (OLG Koblenz v. 15.8.1980 - 14 W 322/80, 14 W 363/80, Rpfleger 1981, 37; Meyer, GKG, 8. Aufl., § 21 Rz. 2). Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die unrichtige Sachbehandlung einem Angehörigen des richterlichen Dienstes zu Last fällt. So reicht es etwa aus, wenn ein Gerichtswachtmeister falsch gehandelt hat (Meyer, a.a.O., Rz. 2; Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, 2004, § 21 Rz. 11). Selbst das Versagen mechanischer Einrichtungen der Justizverwaltung (Nachtbriefkasten usw.) kann zu einer Nichterhebung nach § 21 GKG führen (Oestreich/Winter/Hellstab, a.a.O., Rz. 11). Von diesem Maßstab ausgehend sind die Voraussetzungen für ein Nichterheben der Gebühr nach KV 2110 GKG im vorliegenden Fall erfüllt. Auch die Beteiligte geht davon aus, dass die erste vollstreckbare Ausfertigung des Anerkenntnisteilurteils im Verantwortungsbereich des AG Schöneberg auf dem Weg von der Rechtspflegerin in die Kanzlei abhanden gekommen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der eingetretene Verlust auf der Einwirkung einer gerichtsfremden Person beruht, sind nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass entweder die Rechtspflegerin, der der Vollstreckungstitel noch vorlag, oder der für den Transport der Akten in die Kanzlei verantwortliche Gerichtswachtmeister oder eine der Kanzleikräfte die beim Umgang mit eingereichten Vollstreckungsunterlagen objektiv erforderliche Sorgfalt nicht beachtet und so den Verlust der vollstreckbaren Ausfertigung verursacht hat. Ob der Verlust auf einem - subjektiv - schuldhaften Handeln der betreffenden Person beruht, kann dahinstehen, denn die Anwendung des § 21 GKG setzt kein Verschulden bei der unrichtigen Sachbehandlung voraus (Meyer a.a.O.
§ 21 Rz. 4 m.w.N.). Der Einschätzung der Beschwerde, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verlust der Vollstreckungsunterlagen auf einem offensichtlichen Versehen eines Mitarbeiters des Vollstreckungsgerichts beruht, kann nicht gefolgt werden. Soweit die Bezirksrevisorin dazu die vom LG zitierte Entscheidung des BGH (NJW 1962, 2107) anführt, wonach "nicht jeder kleine Fehler die Nichterhebung der Kosten" rechtfertige, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Zwar trifft es zu, dass nach der Rechtsprechung nicht jeder leichte Verfahrensverstoß ausreicht, um von der Nichterhebung der Kosten abzusehen. Vielmehr wird grundsätzlich ein schwerer Verfahrensverstoß verlangt, um zu verhindern, dass es zu einer Kette nicht endender Nichterhebungsverfahren kommt (BGH MDR 2005, 956). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch auf den Fall einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch ein Gericht. Es genügt für die Nichterhebung von Kosten nicht, wenn eine Rechtsfrage, über die sich streiten lässt, letzten Endes anders beurteilt wird als in den ersten Rechtszügen (BGH JVBl. 1961, 67 m.w.N.). Allein die abweichende Beurteilung einer Rechtsfrage führt noch nicht zur Anwendung des § 21 GKG (BGHZ 93, 213; Meyer, a.a.O., § 21 Rz. 5). Um einen solchen Fall einer abweichenden rechtlichen Beurteilung handelt es sich hier jedoch nicht. Darüber, dass es sich um einen offensichtlichen Fehler handelt, wenn im Verantwortungsbereich des Gerichts wegen Nichtbeachtung der erforderlichen Sorgfalt die vollstreckbare Ausfertigung eines Urteils abhanden kommt, kann vernünftigerweise nicht gestritten werden.
b) Der Bezirksrevisorin kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie aus der Einführung des Gebührentatbestandes des KV 2110 GKG schließen will, dass die Nichter...