Leitsatz (amtlich)
Sind mehrere Befangenheitsanträge in einer Entscheidung zu bescheiden, so sind diese nicht nur isoliert zu prüfen, sondern ist in einer Gesamtschau zu würdigen, ob die beanstandeten Äußerungen und Verhaltensweisen eines Richters zumindest in ihrer Gesamtheit den Eindruck erwecken können, der Richter könnte sich in seiner Entscheidung ohne Rücksicht auf den weiteren Verfahrensverlauf vorbehaltlos und endgültig festgelegt haben.
Die unsachlich spöttische Befragung einer Entlastungszeugin, die deren Aussagen auf eine Stufe mit überzeichneten und völlig unrealistischen Comicfiguren stellt, lässt die gebotene Sachlichkeit vermissen, gibt die Zeugin der Lächerlichkeit preis und erweckt beim Angeklagten aus verständiger Sicht die Besorgnis, der Richter habe sich schon ein abschließendes negatives Bild über den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussage gemacht.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 29.05.2007; Aktenzeichen (571) 95/3012 PLs 6100/06 Ns (39/07)) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. Mai 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und gemäß § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB eine Sperrfrist von sechs Monaten verhängt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit der angefochtenen Entscheidung verworfen. Die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt und das Verfahren beanstandet wird, hat (vorläufigen) Erfolg.
Das Rechtsmittel dringt mit einer der erhobenen Verfahrensrügen des Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO durch. Bei dem Urteil hat ein Richter mitgewirkt, gegen den ein begründetes Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht als unbegründet verworfen worden ist.
1.
Mit der unter II 2 bis 6 der Revisionsbegründungsschrift erhobenen Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte mit Erfolg, dass das Landgericht mit Beschluss vom 10. Mai 2007 mehrere von dem Angeklagten gestellte Ablehnungsanträge gegen den Vorsitzenden der Strafkammer wegen der Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht als unbegründet zurückgewiesen habe. Den Befangenheitsanträgen lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
a)
In Zusammenhang mit der beabsichtigten ergänzenden Begründung eines durch den Angeklagten gestellten Ablehnungsantrages, über die die Verteidigerin des Angeklagten den Vorsitzenden in einer Verhandlungspause hatte informieren lassen, kam es zu einer Kontroverse, als sich der Vorsitzende nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung zunächst geweigert haben soll, der Verteidigerin das Wort zu erteilen, und erklärt haben soll, es sei ihm egal, was die Verteidigerin ihm vom wem auch immer habe ausrichten lassen. Er habe das prozessual Erforderliche veranlasst. Auf erneuten Antrag der Verteidigerin wurde dieser dann das Wort zur Stellung eines weiteren Befangenheitsantrages erteilt.
b)
Anlässlich der Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten als Zeugin am selben Verhandlungstage, die ausgesagt hat, sie könne sich nicht mehr erinnern, wer das Fahrzeug im Anschluss an den Unfall auf den Bürgersteig gefahren habe, machte ihr der Vorsitzende den Vorhalt, dann müsse ja wohl "Superman" das Fahrzeug gefahren haben, und fragte anschließend nochmals ausdrücklich: "Hat Superman" das Fahrzeug gefahren?.
Nach Äußerungen der Zeugin zu dem Alkoholkonsum des Angeklagten, wobei sie unter Abweichung von tatsächlichen oder vermeintlichen früheren Äußerungen erklärte, ihr Ehemann habe (nur) zwei Gläser Bier getrunken, fragte der Vorsitzende sie, ob sie im Ernst meinen würde, ihr Ehemann sei von zwei Bieren so betrunken geworden und fügte hinzu: "dann sind das wohl zwei riesige Supermanbiere gewesen oder? Waren das Supermanbiere?" Daraufhin lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden erneut wegen Besorgnis der Befangenheit ab. In seiner Stellungnahme zu dem Ablehnungsgesuch ist der Vorsitzende dem diesbezüglichen Vorbringen der Verteidigung nicht entgegengetreten, sondern hat lediglich ausgeführt, die Zeugin habe, auch unter Berücksichtigung des gegen sie wegen ihrer erstinstanzlichen Aussage eingeleiteten Ermittlungsverfahrens, durch deutliche Worte zur Wahrheit ermahnt werden müssen.
c)
Nach einer Sitzungsunterbrechung war die Verteidigerin zu dem für die Fortsetzung festgesetzten Zeitpunkt nicht im Sitzungssaal anwesend. Auf Fragen des Vorsitzenden soll der Angeklagte erklärt haben, seine Verteidigerin schreibe noch an einem angekündigten Antrag und würde gleich kommen. Ohne das Eintreffen der Verteidigerin abzuwarten, setzte der Vorsitzende die Hauptverhandlung fort. Als die Verteidigerin wenige Minuten später den Sitzungss...