Leitsatz (amtlich)
1. Zur Berechnung der Vorlagefrist nach § 121 Abs. 1 StPO.
2. Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 232 StGB.
3. Zu dem nach § 114 Abs. 2 StPO notwendigen Inhalt des Haftbefehls gehört unter anderem die genaue Bezeichnung der Tat (§ 114 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Dabei ist das Tatgeschehen nach Ort und Zeit, Art der Durchführung, Person des Verletzten und den sonstigen Umständen so genau zu bezeichnen, dass ein bestimmter Lebensvorgang erkennbar ist, dem der Beschuldigte den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf entnehmen kann.
4. Zu den Anforderungen an den Inhalt des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO).
5. Die Annahme von Verdunkelungsgefahr nach Abschluss der Ermittlungen und Erhebung der Anklage setzt voraus, dass konkrete Umstände (weiterhin) die Gefahr begründen, der Angeschuldigte werde die Ermittlung der Wahrheit durch Verdunkelungsmaßnahmen erschweren.
6. In Haftsachen kann es geboten sein, bereits anklagereife Tatkomplexe vorrangig zum Abschluss zu bringen; ist jedoch das Zusammenwirken des Beschuldigten mit anderen Personen im Bereich der internationalen organisierten Kriminalität aufzuklären, so wäre es verfehlt, ohne Rücksicht auf die Zusammenhänge das wirkliche Tatbild zugunsten einer schnellen, aber zu kurz greifenden Anklage unaufgeklärt zu lassen.
7. Vermeidbare Verzögerungen in einzelnen Stadien des Verfahrens können folgerichtig durch eine besonders schnelle Bearbeitung in anderen Phasen ausgeglichen werden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen (502 KLs) 255 Js 308/15 (10/16)) |
Tenor
Die Untersuchungshaft des Angeklagten dauert fort.
Eine etwa erforderlich werdende weitere Haftprüfung durch das Kammergericht findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Landgericht Berlin übertragen.
Gründe
I.
Gegen den Angeklagten sowie die Mitangeklagten Mo. und Ma. ist das Hauptverfahren vor dem Landgericht Berlin - 2. große Strafkammer - anhängig.
1. Mit Anklageschrift vom 27. März 2016 legt die Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei in zwei Fällen (Fälle 1 und 7), davon in einem Fall (Fall 7) in weiterer Tateinheit mit dirigierender Zuhälterei, schweren Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (nach § 232 Abs. 4 StGB; zur Tenorierung vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2007 - 2 StR 207/07 - juris; Fischer, StGB 63. Aufl., § 232 Rdn. 3, 25) in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei in drei Fällen (Fälle 2, 3 und 8), davon in einem Fall (Fall 8) in weiterer Tateinheit mit dirigierender Zuhälterei sowie mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (nach § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB), vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung, ferner versuchte Nötigung (Fall 4) sowie Bedrohung in zwei Fällen (Fälle 5 und 6) zur Last (§§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2, 223 Abs. 1, 232 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, Abs. 4 Nr. 1, 240 Abs. 1 bis 3, 241 Abs. 1, 22, 23, 25 Abs. 2, 52 StGB). Die ersten sechs Taten soll der Angeklagte - in den Fällen 1 bis 3 unter Mitwirkung der beiden Mitangeklagten - zum Nachteil Ve., die weiteren Taten zum Nachteil der am 28. Juni 1996 geborenen Me. begangen haben. Wegen der konkreten Tatvorwürfe und der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug genommen.
2. Der Angeklagte befindet sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. November 2015 - 348 Gs 3356/15 - seit dem 28. Januar 2016 in Untersuchungshaft. Gegenstand des auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehls sind die Fälle 1 bis 5 der Anklage mit identischer rechtlicher Würdigung. Der Haftbefehl wurde nach Durchführung weiterer Ermittlungen durch einen am 17. März 2016 verkündeten Beschluss gleichen Datums - 348 Gs 715/16 - um die als Fälle 7 und 8 in die Anklage aufgenommenen Tatvorwürfe ergänzt, wobei weiterhin die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr angenommen wurden.
Die Anklage ist am 4. April 2016 beim Landgericht Berlin erhoben worden und am 5. April 2016 (das aufgestempelte Eingangsdatum "05.03.2016" ist ersichtlich unzutreffend) bei der 2. großen Strafkammer eingegangen. Die Anklageschrift enthält auf der ersten Seite den drucktechnisch hervorgehobenen Hinweis: "Frist gemäß §§ 121, 122 StPO: 28. August 2016!". Die Vorsitzende der Kammer hat am 5. April 2016 die Übersetzung sowie die Zustellung der Anklageschrift unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zehn Tagen verfügt und - im Vertrauen auf die Richtigkeit der vermerkten Haftprüfungsfrist - für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens acht Hauptverhandlungstermine im Zeitraum ab 25. August 2016 (Folgetermine: 29. August sowie 1., 5., 8., 12., 15. und 19. September 2016) in Aussicht genommen. Unabhängig davon stand einer früheren Terminierung entgegen, dass sämtliche - unter Berücksichtigung von zwei jeweils einwöchigen Urlauben von Kammermitgliedern in der 25. und 30. Kalenderwoche - im Zeitraum Mai bis...