Leitsatz (amtlich)
1. Die durch § 68f Abs. 2 StGB ermöglichte Anordnung des Entfallens der Führungsaufsicht hat Ausnahmecharakter und kann nur getroffen werden, wenn konkrete Tatsachen für eine günstige Prognose vorliegen, die eine höhere als die zur Reststrafaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB genügende Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit verlangt.
2. Die Unterstellung des Verurteilten unter die Aufsicht und Leitung des örtlich zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers entspricht der zwingenden gesetzlichen Regelung in § 68a Abs. 1 2. Halbsatz StGB.
3. Es besteht keine Beschränkung der Führungsaufsicht dahingehend, dass mit ihr nur solche Straftaten verhindert werden sollen, die mit der Anlassdelinquenz kriminologisch vergleichbar sind oder in einem gewissen Zusammenhang stehen, und dass daher bei der zu erstellenden Kriminalprognose nur auf derartige Taten abzustellen ist.
4. Für die Anordnung von Weisungen folgt daraus, dass das zur Verfügung stehende Instrumentarium nach § 68b StGB grundsätzlich zur Verhinderung sämtlicher - auch nicht einschlägiger oder kriminologisch verwandter - drohender Straftaten eingesetzt werden kann.
5. Ein aus der Art der drohenden Straftaten folgender Zusammenhang zu den Ausgangstaten ist nur dann erforderlich, wenn sich dies ausdrücklich oder als immanente Schranke aus der Rechtsgrundlage für die jeweilige Weisung ergibt.
6. Bei der im Hinblick auf die Auswahl und Ausgestaltung der Weisungen vorzunehmenden Beurteilung der Gefährlichkeit stellen die Ausgangsdelikte ein wesentliches, aber nicht das einzige Kriterium dar.
7. Offensichtlich gebotene und ausreichend bestimmte Weisungen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, 8 und 9 StGB sind auch ohne nähere Begründung rechtmäßig, sofern sich nicht Anhaltspunkte für ihre Unverhältnismäßigkeit, Unzumutbarkeit oder sonstige Ermessensfehler ergeben.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 21.06.2018; Aktenzeichen 599 StVK 232/18) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde und die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 21. Juni 2018 werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Der Beschwerdeführer hat die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten, die das Landgericht Berlin gegen ihn durch Urteil vom 7. Februar 2012, rechtskräftig seit demselben Tag, wegen schweren Bandendiebstahls in 22 Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls in vier Fällen und Diebstahls in zwölf Fällen verhängt hatte, bis zu seiner Entlassung am 29. Juni 2018 vollständig verbüßt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer es abgelehnt, die von Gesetzes wegen eintretende Führungsaufsicht entfallen zu lassen oder ihre Dauer abzukürzen. Sie hat den Beschwerdeführer ferner für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des örtlich zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt und ihm näher bezeichnete Weisungen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 7, 8 und 9 StGB erteilt.
Das als Widerspruch bezeichnete Rechtsmittel ist hinsichtlich der Nichtanordnung des Entfallens der Führungsaufsicht als sofortige Beschwerde (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und im Übrigen als einfache Beschwerde (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu behandeln (§ 300 StPO).
1. Die rechtzeitig erhobene (§ 311 Abs. 2 StPO) und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Eintritt der Führungssicht kraft Gesetzes nach § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB liegen vor. Gegen den Verurteilten ist eine Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren vollständig vollstreckt worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers tritt beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB die Führungsaufsicht regelmäßig und automatisch mit der Entlassung aus der Strafhaft ein. Das Institut der Führungsaufsicht nach den §§ 68 ff. StGB hat die Aufgabe, gefährliche oder (rückfall-)gefährdete Täter in ihrer Lebensführung in der Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten (vgl. BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 15. August 1980 - 2 BvR 495/80 - juris Rdn. 3; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Januar 2018 - III-5 Ws 528-530/17, 545/17 - juris Rdn. 27; Senat, Beschluss vom 19. April 2018 - 5 Ws 43-44/18 - m.w.N.; Fischer, StGB 65. Aufl., Vorb. § 68 Rdn. 2; Sinn in SK-StGB 8. Aufl., § 68 Rdn. 2). Sie soll also einerseits den Betroffenen durch engmaschige Überwachung und Kontrolle an der Begehung weiterer Taten hindern und andererseits durch Betreuung und Hilfe bei der Bewältigung psychosozialer Schwierigkeiten in die Lage versetzen, außerhalb geschlossener Einrichtungen ein Leben ohne Straftaten zu führen (BT-Drucks. 16/1993, S. 11). Während die Bewährungshilfe nur für Täter mit positiver Legalprognose in Betracht kommt, zielt die Führungsaufsicht gerade auch, allerdings nicht ausschließlich, auf die Überwachung und Betreuung von ...